"Ich konsumiere jeden Tag Klettern – so viel nur geht.“ Peter Schnabel
06.12.2021, 09:09 Uhr
Für Peter Schnabel war es ein Sprung ins kalte Wasser. Bis Ende August arbeitete der 34-Jährige noch als hauptamtlicher Leichtathletik-Trainer, seit Anfang September ist er Bundestrainer Speed beim Deutschen Alpenverein (DAV).
„Ich fühle mich sehr wohl mit dieser Aufgabe, ich bin im Trainerteam extrem gut und offen aufgenommen worden“, sagt Schnabel begeistert. Klettern kannte er zuvor zwar von einigen Besuchen in Hallen, Spaß habe es schon gemacht, sagt er. Die Leichtathletik aber war es, die bisher das Leben des Leipziger geprägt hat. Als Kind, im Alter von fünf Jahren, begann er damit. Als 14-Jähriger stieg er in den Leistungssport ein und hat dann zehn Jahre lang sehr intensiv Weitsprung betrieben. Einige Jahre zählte er in Deutschland bei den Herren zu den Top Ten in dieser Disziplin. Und fand dort nach seinem Bachelor- und Masterstudium an der Deutschen Sporthochschule Köln auch seinen Beruf: Er war Teamleiter Sprung - also für Hoch-, Weit- und Dreisprung - und Landestrainer Hochsprung im Landesverband Nordrhein-Westfalen. Parallel dazu betreute er Kaderathletinnen und -athleten am Bundesstützpunkt Bochum/Dortmund.
"Das Speedklettern ist in Deutschland eine junge Disziplin."
Wie er dann zum Klettern kam? „Das ist eine lange Geschichte“, sagt Peter Schnabel. Die Kurzversion ist, dass der frühere leitende Bundestrainer Urs Stöcker auf ihn aufmerksam wurde. Stöcker nämlich war sich sicher, dass verschiedene Trainingskomponenten aus der Leichtathletik durchaus auch für das Speedklettern hilfreich seien. „Er meinte, ich als Experte solle mich um die damals offene Stelle als Bundestrainer bewerben“, erzählt Schnabel. Das tat er auch – und bekam eine Zusage. Nun möchte er das Know-how, das er sich in den langen Jahren in der Leichtathletik angeeignet hat, in das Speedklettern einbringen. Parallelen zwischen den beiden Sportarten gebe es viele, sagt Schnabel. „Speedklettern ist ja eigentlich ein Sprint in der Vertikalen. Wenn sich auch das Training durch die Armzüge und den Fußaufsatz schon elementar unterscheidet.“
Das Speedklettern sei in Deutschland eine junge Disziplin, es stecke noch in den Kinderschuhen. Nun gehe es darum, eine strukturelle Entwicklung voranzutreiben. „Das ist für alle Neuland.“ Viel Planung, viel Diagnostik gehöre dazu – erst einmal müsse geklärt werden, welches Training den Speedies abseits der Wand helfen könne. Das habe es in Deutschland bislang kaum gegeben, das soll sich nun ändern. „Das ist ein Potenzial, das brachliegt.“ Eine Daten- oder Studienbasis aber gebe es bislang nur ansatzweise, „das müssen wir erst selber herausfinden.“ Inzwischen wurde eine erste Liste erstellt, was alles getestet werden müsse. Dazu gehört beispielsweise die Messung, wie lange der Kontakt auf einem Griff andauert.
Mit der Diagnostik aber alleine sei es nicht getan: Die Athletinnen und Athleten seien keine Maschinen, sondern Menschen mit Gefühlen. „Sie müssen kommunizieren, wie es sich für sie im Training anfühlt. Es ist also eine Teamleistung“, sagt Schnabel. Letztendlich gehe es darum, diese Sportart zu professionalisieren - mit dem Ziel, die Speedies schneller werden zu lassen. „Die bestmögliche Leistung zu erreichen: Das ist unser Anspruch.“ Was trainiert man, um schneller zu werden, was macht Sinn? Dies seien die entscheidenden Fragen. Sprungkraft, Schnellkraft und Maximalkraft gehörten dazu. Eine schnellere Zeit nämlich sei nicht nur durch die ständige Wiederholung der Speedtour möglich, erklärt Schnabel. Die Defizite der Speedies müssten abseits der Wand gezielt und separiert trainiert werden. „Die Frage ist doch, wie schnell jemand die Wand hochrennen könnte - und was er dafür alles trainieren muss.“ Durch eine konditionelle Steigerung beispielsweise kann die Beta stark verändert werden, ist sich Schnabel sicher. Durch eine höhere Geschwindigkeit und größere Sprungkraft könne eventuell höher gegriffen werden. „Auch die Mädchen könnten es schaffen, die Männer-Beta zu übernehmen und statt viele Griffe zu doppeln, einarmig anreißen.“ Letztendlich also Zeit einsparen und schneller werden. Noch würden den deutschen Speedies zwischen zehn und 15 Prozent zur Weltspitze fehlen, „das sind vielleicht nur ein paar Zehntelsekunden, ist aber dennoch viel. Wir werden versuchen, die Lücke zu schließen“, sagt Schnabel. Im kommenden Jahr werde man in der Weltspitze wahrscheinlich noch nicht mitklettern können, in den kommenden Jahren aber sei das dann durchaus möglich.
"Ich will einen Athleten und eine Athletin bei den Spielen 2024 in Paris am Start haben."
„Wir stehen noch ganz am Beginn, es wird ein spannender Prozess“, sagt Schnabel. Er habe viel Gestaltungsspielraum und könne sein Wissen einbringen, um die Disziplin weiterzuentwickeln. „Die Aufgabe ist ein Geschenk für mich“, meint er. Er selbst lerne auch jeden Tag dazu. Fünf Athletinnen und Athleten betreut er derzeit im Kernteam: Zwei Damen und drei Herren. Trainiert werde momentan in Hilden und in Düsseldorf – und zwar täglich. Alle seien hoch motiviert, „die brennen für Paris, haben den Traum Olympia.“ Einen Athleten und eine Athletin will er bei den Spielen 2024 in Paris am Start haben. „Das ist mein Ziel. Punkt. Aus.“ Vielleicht gehe ja auch noch mehr, drei Jahre Zeit habe man noch. Was in der kommenden Saison gehen soll, weiß er aber schon jetzt sehr gut: Die volle Weltcup-Saison ist eingeplant, mit mindestens einem Athleten wolle man bei jedem Weltcup teilnehmen. Und sein persönliches Ziel? „Ich will so schnell als möglich in diese Sportart hineinwachsen. Ich konsumiere jeden Tag Klettern – so viel nur geht.“
Interview: Gudrun Regelein