Interview mit Urs Stöcker zu den Olympischen Spielen in Tokio 2021
13.08.2021, 13:37 Uhr
"Wir müssen weg vom „Prinzip Hoffnung“ hin zur „Strategie Gold!" Urs Stöcker, leitender Bundestrainer, über das Kletter-Debüt bei den Olympischen Spielen und die Leistungen von Alex Megos und Jan Hojer.
DAV: DOSB Präsident Hörmann spricht davon, dass die Erwartungen an die Spiele erfüllt und überfüllt wurden. Kannst du dem zustimmen? War für euch und vor allem für Jan und Alex der Zauber von Olympia spürbar?
Urs Stöcker: Im Vorfeld war die Geschichte schon eher nüchtern. Auch das Precamp war einsam aber sobald man sich dem Olympischen Dorf genähert hat kam Stimmung auf und im Olympia Dorf war´s dann echt cool! So viele Sportler*innen und Trainer*innen die allesamt dasselbe Ziel in verschiedenen Sportarten hatten war schon ein riesen Erlebnis. Auch die Bekanntschaften mit anderen deutschen Sportler*innen auf dem Flug und im Dorf sind einzigartig.
DAV: Wer dir auf den Social-Media-Kanälen folgt, weiß, dass du dich nicht nur Experte im Klettern und Bergsport bist, sondern dich für zahlreiche Sportler*innen und Sportarten faszinierst. Gab es einen Moment – außerhalb vom Klettern - der dir aus Tokio besonders im Kopf bleiben wird?
Urs Stöcker: Aus deutscher Sicht sicher das Ringermärchen mit Aline Focken und die Weltrekordradlerinnen auf der Bahn. Auch die Freude und Zielstrebigkeit von Zverev hat mich begeistert.
DAV: Sportklettern war das erste Mal olympisch. Welches Fazit ziehst du aus organisatorischer Sicht seitens des internationalen Verbands und IOC?
Urs Stöcker: Die Organisation war perfekt. Es gab echt nirgends Probleme wo sonst neuralgische Punkte sind, wie zum Beispiel Zeitmessung und Einsprüche. Es war seitens der IFSC ein top Team da und die Volunteers haben richtig gute Arbeit geleistet! Das einzige was wiederum kritisch war, war der Routenbau. Da müssen wir uns echt was für die Zukunft überlegen.
DAV: Eine Frage, die in den Medien kreist, warum eine Athletin, die den Weltrekord holt keine Medaille bekommen hat. Das Combined-Format wurden von Anfang an heiß diskutiert. Am Ende war es so spannend wie nie. Wie bewertest du das Format rückblickend?
Urs Stöcker: Ich finde dass im Combined alle Disziplinen dazugehören. Das Ranking mit der Multiplikation ist im Sport nach meinem Kenntnisstand einzigartig- wahrscheinlich zu recht. Aber das sollte ja Richtung Paris geändert werden. Ich hoffe immer noch, dass das IOC verstanden hat, dass eine Zweierkombi genau noch größerer Quatsch ist wie eine Dreierkombi. Können wir hoffen, dass an dem Gerücht, dass 2024 alle Diziplinen einzeln ausgetragen werden, was dran ist.
DAV: Vor allem Alex hat der deutschen Kletternation bis zur letzten Sekunde unter Hochspannung gehalten. Auch wenn der Finaleinzug am Ende nicht geklappt hat, war für die Zuschaue*innen jede Sekunde der Beiden ein ständiges Gleichgewicht zwischen Herzinfarkt und purem Genuss. Wie haben du und das Team zusammen den Wettkampf erlebt?
Urs: Ich habe versucht mich auf meine Arbeit zu konzentrieren und die perfekt zu machen. dazu gehört Zeitmanagement, Einsprüche und Coaching. Ich denke das ist mir größtenteils gelungen. Wir haben auch den ersten Einspruch bei Olympia eingereicht, der dann auch gutgeheißen wurde (Zone von Jan im ersten Boulder). Während dem Wettkampf hatte ich wenig Kontakt mit den Athleten, jedoch sind beide sehr selbständig. Natürlich haben wir gezittert weil wir Johannes Lau im deutschen Back Office hatten, der uns alle Berechnungen durchgegeben hatte. Somit war dann auch nach Jakobs Lead-go klar, dass wir raus sind.
DAV: Jan und Alex wirkten beide sehr enttäuscht nach dem Ausscheiden aus dem Wettkampf. Natürlich sind beide hier emotional gefesselt. Kannst du die Leistung der beiden bereits objektiver beurteilen und wie schätzt du diese ein?
Urs Stöcker: Ja ich glaube das ganze Team war enttäuscht, weil wir wussten dass wir uns gut vorbereitet hatten und deutlich mehr drin lag. Wir haben viele kleine Fehler gemacht und hatten am Schluss ein Quäntchen zu wenig Wettkampfglück. Das können und müssen wir in Paris 2024 besser machen.
DAV: Jan und Alex haben nicht nur Großartiges bei den Spielen geleistet, sondern sind für uns als Verband auch die besten Lehrer wenn es um strukturelle Prozesse geht. Gibt es bereits Ansätze welche wir mit aus Tokio nehmen können?
Urs Stöcker: Ich glaube da gibt es viele und das bedarf einer gründlichen Analyse. Was aus meiner Sicht entscheidend ist, ist eine engere Betreuung und Steuerung der Athlet*innen im ganzen Zyklus. Da müssen wir weg vom „Prinzip Hoffnung“ hin zur „Strategie Gold“.
DAV: Paris 2024 wird anders. Mit einem Combined-Format aus Lead und Bouldern sowie Speed als Einzeldisziplin. Wie stehen die Chancen für das deutsche Kletterteam?
Urs Stöcker: Ich denke der Wettlauf wird nochmal härter. Wir müssen die Professionalisierung der Strukturen und die Betreuung der Athlet*innen verbessern. Dazu braucht es aber auch Vertrauen der Athlet*innen in das System und die Strategie. Dann kann gemeinsames Commitment entstehen!
Das Team vor den Olympischen Ringen in Tokio. Von links nach rechts: Jan Hojer, Alex Megos, Urs Stöcker, Martin Schlageter, Martin Veith.