IFSC-Routesetter Christian Bindhammer im Interview: "Der Routenbau hat sich professionalisiert"
15.02.2021, 09:57 Uhr
Christian Bindhammer gehörte zu den Top-Wettkampfkletterern in Deutschland. Heute nutzt der 44-Jährige seine internationale Wettkampferfahrung beim Routenbau – und das äußerst erfolgreich: Er ist der einzige Deutsche IFSC-Chefroutenschrauber. Mit uns hat er über den Routenbau bei den kommenden Olympischen Spielen gesprochen.
Im vergangenen Oktober fand im „Exxpozed“ im Allgäu die Deutsche Meisterschaft Lead statt - als einer der ganz wenigen Wettkämpfe in Deutschland 2020. Geplant und gebaut hat die lichtdurchflutete und topmoderne Kletteranlage Christian Bindhammer mit seiner Firma „MasterRange“ für seinen Bruder Andreas, dem Besitzer von „Exxpozed“. Die Brüder Bindhammer sind in der Kletterszene schon lange ein Begriff: Vor 30 Jahren traten Andreas und sein jüngerer Bruder Christian erfolgreich bei nationalen und internationalen Wettkämpfen an. Beide hatten etwa 200 nationale und internationale Starts, Christian ist neunfacher Deutscher Meister im Lead. Ihre Leidenschaft für das Klettern haben die beiden nie verloren, statt an Kunstwänden machen sie inzwischen mit schweren Begehungen am Fels auf sich aufmerksam. So gelang dem heute 44-jährigen Christian im vergangenen November mit „Perfekt Link“ (8c+) die Erstbegehung einer 25 Meter langen Tour in Pinswang. Christian hat sich in den vergangenen Jahren zudem als Schrauber einen Namen gemacht, er ist momentan der einzige deutsche IFSC-Chefroutenbauer, der bei internationalen Wettkämpfen Leadtouren kreiert.
Es sind die ersten Olympischen Spiele, bei dem Klettern dabei ist. Wäre es auch für einen Routensetter ein Traum, dort zu schrauben?
Christian Bindhammer: Es sind die ersten Spiele und deshalb etwas sehr Besonderes – auch für jeden Routenbauer. Normalerweise ist es zwar so, dass bei den internationalen Wettkämpfen immer unterschiedliche Routenbauteams schrauben - alleine schon, um gut durchmischt zu bleiben. Jeder Routenbauer kann so seinen Input an ein anderes Land weitergeben. Für Tokio hat die IFSC-Comission allerdings einen anderen Weg gewählt.
Nämlich?
Das Team steht seit Langem. Die Taktik des IFSC ist, die Zusammensetzung nicht zu verändern. Man wollte absolut auf Nummer sicher gehen, dass das Schrauberteam zusammenpasst, es soll sich gut kennen. Das Team hat in der gleichen Besetzung schon bei der Weltmeisterschaft 2019 in Japan geschraubt und später zudem noch beim Pre-Event Boulder und Lead kurz vorab in Innsbruck.
Wie viele Schrauber werden das in Tokio 2021 sein?
Das sind im Lead- und im Boulder-Team jeweils drei beziehungsweise vier Routenbauer. Beim Bouldern ist der Chefroutenschrauber der Brite Percy Bishton, daneben sind Manuel Hassler aus der Schweiz, Romain Cabessut aus Frankreich und Garret Gregor aus den USA dabei. Beim Lead besteht das Team aus dem polnischen Chefroutenschrauber Adam Pustelnik, dem Tschechen Jan Zbranek und Hiroshi Okano aus Japan.
In diesem Frühjahr werden coronabedingt eventuell nicht alle geplanten Weltcups stattfinden. Wird es dann schwierig, als Schrauber das Niveau der Olympioniken einzuschätzen?
Nicht wirklich. Es gibt verschiedene Runden und jede Runde – außer natürlich bei der Quali - kann an die Fitness der Teilnehmer angepasst werden. Beim Lead ist die Quali im Flash-Modus, das heißt, die Athleten können sehen, wie die anderen Teilnehmer die Route oder einzelne Passagen klettern. Das bedeutet für den Schrauber, dass er sich von dieser Runde nicht blenden lassen darf. Wenn alle super fit sind, heißt es nicht unbedingt, dass das Niveau des Halbfinales oder Finales angezogen werden muss, da dieses ja im Onsight-Modus stattfindet.
Insbesondere für das Finale ist es das Ziel, genau ein Top und möglichst keine Entscheidung über die Kletterzeit zu haben. Es ist zwar schwierig, das zu erreichen, aber es gelingt trotzdem „überraschend“ oft. Der Routenbau hat sich professionalisiert und er läuft immer als Absprache im Team. Dort wird auch besprochen, an welchen Stellen man den Druck rausnehmen muss oder wo noch Nuancen verändert werden müssen. Aber es ist für uns trotzdem immer wieder spannend, ob es dann wirklich mit nur einem Top ausgeht. Das ist immer der Thrill in jedem Wettkampf. Der Druck in den vergangenen Jahren ist auch für uns Schrauber immer größer geworden, Klettern ist relativ populär, das bedeutet – auch Online – mehr Zuschauer und oft einen engen Zeitrahmen.
Wann beginnt die Planung für dieses Mega-Event?
Die eigentliche Planung läuft bereits seit der Weltmeisterschaft 2019. Das war das Test-Event für Olympia, nun versucht man, das zu verbessern. Die Wand in Tokio steht übrigens bereits, dort gab es auch schon einen Test-Wettkampf. Alles soll optimiert werden, damit ein reibungsloser Ablauf garantiert wird. Welche Touren und Boulder dort zu sehen sein werden, entscheiden die Schrauber aber erst abhängig vom Griffangebot. Das geht nicht nach einem festgelegten Plan, den es schon gibt. Es sind neue Routenkreationen, die erst entstehen werden.
"Grundsätzlich würde ich die Touren stärker progressiv gestalten als bei Weltcups."
Werden dafür extra neue Griffe oder Volumen hergestellt?
Für die Sommerspiele sind die Hersteller bereits fixiert - und es gibt einen strikten Katalog, was verwendet werden darf. Brandneue „Spezialmoves“ wird es aber eher nicht geben, die Lead-Runden werden wohl nicht zu spektakulär sein. Dort wird die Sicherheit eines guten Ablaufs an oberster Stelle stehen. Und beim Bouldern wird sicher nicht zu extrem „New-School“ abgefragt werden, sondern auch eine Mischung aus bekannten Moves, die gut für das Wettkampfergebnis funktionieren
Etwas Spektakuläres erwartest du dir für die Premiere also nicht?
Spektakulär ist jeder Wettkampf an sich – und hier geht es ja noch um den Olympia-Titel. Die Millionenfrage bei „Wer wird Millionär“ hat auch einen anderen Thrill als die 500-Euro-Frage. Der olympische Titel besitzt einen hohen Stellenwert. Aber der Routenbau steht dabei nicht direkt im Vordergrund, der Wettkampf muss einfach erfolgreich ablaufen. Bei Olympia schauen auch Leute zu, die keine besondere Affinität zum Klettern haben. Das muss also ein breites Publikum faszinieren. Immer etwas Neues geboten zu bekommen, ist vielleicht für das extreme Fachpublikum wichtig, aber nicht für den „normalen“ Zuschauer bei Olympia.
Hast du Ideen, wie du schrauben würdest?
Na ja, wir haben bei Olympia einen Combined-Wettkampf. Das heißt, es sind 40 Athletinnen und Athleten am Start, die sich teilweise durch eine extrem gute Leistung in einer Einzeldisziplin qualifiziert haben. Beim Lead beispielsweise würde ich die Quali zwar selektiv gestalten, aber die Einstiege nicht extrem hart, sondern eher soft. Damit auch die Boulderer und vor allem auch die Speederer eine Chance haben, einige Meter zu klettern. Grundsätzlich würde ich die Touren stärker progressiv gestalten als die bei Weltcups, bei der die Intensität schon von unten weg hoch ist. Ganz wichtig ist aber, dass die Entscheidung über die Höhe und nicht über die Kletterzeit fällt.
Gibt es Grenzen bei den Kosten für den Routenbau?
Material wird sicher sehr viel zur Verfügung stehen, wie eben auch große Elemente als Eyecatcher. Eine Vielfarbigkeit wird es auch geben, um beispielsweise eine Tour in verschiedene farbliche Abschnitte zu unterteilen, um die Visualisierung für den allgemeinen Zuschauer nochmals zu verbessern. Die Schrauber werden frei in ihrer Auswahl sein, die wird sehr gut sein - gerade in Japan wird beim Material aus eigener Erfahrung eher nicht gespart. Beim Routenbau beginnt man übrigens normalerweise mit der Finaltour und sucht sich dafür besonders Stylisches und optisch ansprechendes Material aus. Da wird dann meist auch das Teuerste und Hochwertigste reingepackt. Dualtex-Griffe beispielsweise. Gerade die Finaltour soll auch optisch wirken und eine Einzigartigkeit bieten.
"Ein Lead-Finale, bei dem fast alle schon sehr früh stürzen, wird es ganz sicher nicht geben."
Hat man beim Schrauben eigentlich auch immer das Publikum und die Show im Kopf?
In erster Linie geht es natürlich um das sportliche Ergebnis. Dann aber kommt gleich die Show, denn der Veranstalter will ein gutes Event haben. Diese beiden Aspekte sind die wichtigsten beim Schrauben.
Nach der diesjährigen Deutschen Bouldermeisterschaft ist eine ziemlich heftige Diskussion entbrannt: Athletinnen und Athleten machten den Routenbauern den Vorwurf, sie werden als „Zirkusnummer“ verheizt. Was sagst du dazu?
Ich fand die Kritik damals ein bisschen übertrieben. Vielleicht gab es im Finale tatsächlich zu wenig Abwechslung, aber als Zirkusnummern sind die Boulder nicht rübergekommen. Da ist Ninja Warrior eher eine Zirkusnummer und da sieht man auch immer wieder viele Top-Kletterer freiwillig. Beispielsweise ist bei manchen Athleten auch die Taktik noch nicht optimal… anstatt unzählige Versuche zu setzen und dabei viel Haut zu verlieren, könnte ein Boulder mit extrem rauen Volumen besser weniger oft, aber dafür umso konsequenter angegangen werden. Ich finde nicht, dass man hier die Routenbauer verantwortlich machen kann, wenn ein Profi-Sportler seine persönliche Haut-Belastungsgrenze nicht erkennt und ungewöhnlich viele Versuche investiert. Das Material war da, dass die neuesten Shapes in der Finalrunde zum Einsatz kommen, ist naheliegend. Ansonsten wäre es auch beim DAV zu sagen, dass man diese Griffe bei der Deutschen Meisterschaft nicht haben will. Allerdings heißt das dann nicht, dass nicht genau diese Griffe bei internationalen Wettkämpfen auch verwendet werden können.
Was zeichnet in deinen Augen eine/n guten Routenschrauber/in aus?
Das Schwierigkeitsniveau des Teilnehmerfeldes gut einschätzen zu können und die Boulder und Routen entsprechend zu schrauben. Und dann muss er – was die Bewegungselemente betrifft – immer auf dem höchsten Level bleiben.
Denkst du, dass Tokio 2021 den Routenbau beeinflussen wird?
Das glaube ich eher nicht. Der Routenbau bei Olympia wird auf Sicherheit ausgerichtet sein und darauf, dass es eben gut funktioniert. Ein Lead-Finale, bei dem fast alle schon sehr früh stürzen, wird es ganz sicher nicht geben. Und auch beim Bouldern wird sicher verhältnismäßig nicht allzu schwer geschraubt werden. Ich hoffe nur, dass es nicht zu leicht wird und wir auch ein eindeutiges Ergebnis in jeder Disziplin haben werden.
Wohin wird die Entwicklung gehen? Wird bei Wettkämpfen noch Old School zu sehen sein? Oder wird es nur noch New School beziehungsweise Parkour-Style geben?
Das hängt auch immer etwas von der neuen Materialentwicklung ab. Durch Dualtex wird durch die glatte Oberfläche beispielsweise die zwingende Bewegung mehr forciert. Ich kann mir zwar vorstellen, dass es zukünftig noch weiter verstärkt zu einer Aneinanderreihung von noch mehr dynamischen Elementen kommen wird. Auch im Lead-Bereich. Aber es wird sicher nicht nur ausschließlich im Parkours-Style geschraubt werden, New-School wird und sollte auch Old-School nicht ganz verdrängen, es wird beides weiterhin als Mischung geben. Die Basics werden immer dabei sein, man wird auch zukünftig kleine Griffe halten müssen. Das Wettkampfklettern wird sicher nicht auf Sprünge und Sloperzüge reduziert werden, es wird auch noch das klassische Klettern geben.
Interview: Gudrun Regelein