Der Erfindergeist im Bergsteigen – Ausrüstung im Wandel der Zeit
Die Pionierinnen und Pioniere des Bergsports sind für uns zweifellos Heldinnen und Helden, deren Leistung wir im Rückblick bewundernd anerkennen. Werfen wir einen genaueren Blick auf die Ausrüstung, mit der sie damals unterwegs waren, wächst unsere Wertschätzung oft ins Unermessliche: Keine wasserabweisenden und atmungsaktiven Funktionsfasern, keine Gummisohlen, kein Kunststoff, kein Leichtmetall, kein Lawinenverschüttetensuchgerät. Stattdessen Hanf, Filz, Segeltuch, Holz oder Bambus – wer würde sich schon zutrauen, mit dieser Ausrüstung ihre Leistungen zu wiederholen?
Ausrüstung: Vom Seil bis zum Smartphone
Von Anfang an ist die Geschichte des Bergsteigens eng mit der Geschichte der Ausrüstung verwoben. Mehr noch: Die Geschichte des Alpinismus könnte man auch als eine Technikgeschichte erzählen, denn ohne technische Ausrüstung kein Bergsteigen, kein Skifahren, kein Klettern und vor allem wohl keine Weiterentwicklung dieser Bergsportarten im heutigen Sinne. Und: ohne Ausrüstung auch keine erbitterten Auseinandersetzungen und keine ethischen Debatten über die Verwendung technischer Hilfsmittel.
Dass für Bergsteigerinnen und Bergsteiger nicht nur die physische und psychische Verfassung und das Wissen über die Alpen wichtig sind, stellen bereits frühe Lehrbücher Anfang des 20. Jahrhunderts fest. Auch die richtige Ausrüstung und ihre Beherrschung zählen zu den bergsteigerischen Voraussetzungen. Ausrüstung meint dabei nicht nur Gegenstände wie Schuhe, Seil, Haken oder Ski. Auch Hilfsmittel zur Orientierung im Gelände, zur Sicherung bei Lawinen, Bekleidung, Verpflegungsutensilien, wie auch sanitäre und medizinische Ausstattung gehören dazu. Weiter gefasst könnte man hierunter auch Trainingsgeräte, Schrittzähler und Fitnesstracker rechnen, ebenso die bei der Anfahrt zum Berg verwendeten Verkehrsmittel und technische Geräte wie den Fotoapparat oder heutzutage das Smartphone.
Ausrüstung spielt beim Bergsteigen im doppelten Sinne eine wichtige Rolle: zum einen als „Ergänzung des menschlichen Körpers“, wie bereits 1908 einer der ersten führerlosen Bergsteiger, Josef Ittlinger schrieb. Zum anderen als Schutz vor Gefahren: Schon 1888 hatte der österreichische Arzt und Bergsteiger Emil Zsigmondy konstatiert, der wichtigste Schutz gegen alle objektiven wie subjektiven Gefahren der Alpen sei das Seil.
Mittlerweile scheint die Technik auch das Verhalten der Bergsteigenden, ihre Fähigkeiten und ihre Haltung dem Berg gegenüber zu beeinflussen. Lawinenairbag, Helm, Sicherungsgerät und Smartphone täuschen ein Mehr an Sicherheit vor, das Kritikern zufolge mit einem Weniger an Kenntnissen, Vorbereitung und Risikoeinschätzung am Berg einhergehen könnte.
Vom Bergsteiger zum Unternehmensgründer
Die Geschichte der Ausrüstungstechnik wurde vorwiegend von Bergsteigerinnn und Bergsteigern geprägt, die nicht nur Ausrüstung erfunden, entwickelt sowie zum Teil selbst hergestellt haben, sondern später auch zu den Gründerinnen und Gründern namhafter Ausrüstungsunternehmen zählten. Not machte dabei oft besonders erfinderisch. Bereits in prähistorischer Zeit fertigte man Ausrüstungsgegenstände wie Schneereifen an, ab dem 16. Jahrhundert Bergstöcke und Seile. Für extremere Klettereien setzte man bis ins 19. Jahrhundert auch auf die Zweckentfremdung von technischen Geräten unterschiedlicher Herkunft, etwa Maurerhaken aus dem Bauwesen, Seile aus der Seefahrt, Grießbeil oder Karabiner von der Feuerwehr.
Die wachsende Begeisterung für führerlose Touren und extremeres Klettern um 1900 und die große Zahl von Bergunglücken führte zu einer raschen Entwicklung der Ausrüstungstechnik. Erste Lehrschriften und Kletterführer versuchten die richtige Ausrüstung sowie den Umgang damit einer breiteren Öffentlichkeit zu vermitteln. Bergsteigerinnen und Bergsteiger sowie Kletterinnen und Kletterer entwickelten Fiechtlhaken und Karabiner, die das Ausbinden aus dem Seil samt Haken überflüssig machten und damit die Gefahr eines Absturzes minimierten; Kletterschuhe, die mit neuem Sohlenmaterial das Klettern am Fels sicherer machten und Steigeisen, Eishaken und Eispickel, die bisher nicht mögliche Routen in Eis und Schnee eröffneten. Seit den 1950er Jahren lösten Chemiefasern wie Perlon und Nylon die Naturfaser Hanf als Seilmaterial ab; der Leichtmetallkarabiner den Stahlkarabiner; Bergsportunternehmen mit industrialisierter Fertigung für den internationalen Massenmarkt traten an die Stelle kleiner lokaler Handwerksbetriebe und Manufakturen.
Bekleidung: Von Schafswolle zu Softshell
„Die Bekleidung, die der Bauer und Jäger im Gebirge trägt, ist auch für den Touristen die beste“, empfahl 1894 der Alpinist Ludwig Purtscheller. Er riet für Bergtouren zu Kleidung aus Wolle und die Lederhose eigne sich bei Felstouren, für Schneetouren seien Pumphosen besser. Bereits 1863 war in den Mitteilungen des Österreichischen Alpenvereins zu lesen, die „bislang nur von englischen Touristen“ getragenen Schafwollhemden seien ein „prophylaktisches Mittel gegen Verkühlungen“.
Da die Hose für Bergsteigerinnen bis in die 1920er Jahre als unschicklich galt, gab es Hinweise, wie aus einem unpraktischen Unterrock mithilfe von Knopfleisten eine Hose zu knöpfen war, die unter dem Überrock getragen werden konnten. Erst allmählich setzte sich die praktische Kniehose für Frauen durch. Der Wintersport förderte die funktionale Ausrüstung für beide Geschlechter wie die Keilhose, den Wollpullover und den Kapuzenanorak.
Nach dem Zweiten Weltkrieg nutzten Sportartikelfirmen für militärische Zwecke entwickelte Gewebe. Nylon und Polyester ersetzten Naturmaterialien, der Stretchstoff Lycra sorgte für mehr Bewegungsfreiheit. Seit den 1980er-Jahren gibt es leichte Fleecepullis, die schnell trocknen. Mittlerweile schützen Gore-Tex und Softshell vor Wind und Nässe, Wollmischgewebe als Unterkleidung liefern die nötige Wärme. Die Hightech-Kleidung von heute wärmt, wird schnell trocken und ist darüber hinaus funktional.
Die Entstehung und Arbeit des Sicherheitskreises
Tödliche Steinschlagunfälle waren Ende der 1960er Jahre der Anlass für Extrembergsteiger und Alpinjournalisten wie Manfred Sturm, Jürgen Winkler, Elmar Landes und Toni Hiebeler, mehr Sicherheit zu fordern. 1968 gründeten sie den Sicherheitskreis, der zwei Jahre später in den DAV integriert wurde. Vor allem der Luft- und Raumfahrtingenieur Pit Schubert prägte erst als ehrenamtlicher, später als hauptamtlicher Leiter den Sicherheitskreis. Der Sicherheitskreis führte Materialtests durch, die praxisgerechter waren als der „Österreicher-Helmtest“ aus dem berühmten Witz, bei dem eine Wollmütze den Sturz vom Kirchturm übersteht, der Helm aber nicht. Vorschläge und Forderungen an Hersteller und Normungsgremien sorgten dafür, dass die Ausrüstung kontinuierlich verlässlicher wurde und nationale und internationale Standards für technische Ausrüstung eingeführt wurden. Kampagnen, zum Beispiel gegen das gleichzeitige ungesicherte Gehen am Seil im Absturzgelände, klärten Bergsportler über die Gefahren auf. Nach Schuberts Pensionierung setzte die Sicherheitsforschung einen neuen Akzent: In Kletterhallen und auf Skitouren wird nicht mehr nur das Material, sondern auch das Verhalten der Bergsportler untersucht, um Fehler zu entdecken, Verhaltenstipps zu formulieren, die an DAV-Mitglieder kommuniziert und in die Ausbildungen des DAV transferiert werden.
Das Beste aus Tradition und Moderne
Verlässlichkeit, Sicherheit, Funktion, Komfort – bei diesen Punkten wünscht sich wohl niemand die sprichwörtliche gute alte Zeit zurück. Dennoch findet gerade eine Rückbesinnung auf alte Materialien und traditionelle Herstellungsweisen statt, die weit über eine melancholische Liebe für das Früher hinausgeht. Sie liegt begründet im wachsenden Bewusstsein für die Themen Nachhaltigkeit und Sozialverträglichkeit. Immer mehr Bergfreundinnen und Bergfreunde legen Wert auf möglichst langlebige, wiederverwertbare, fair und ohne Schadstoffe produzierte Ausrüstung. So landen beispielsweise Produkte aus Wolle oder Hanffasern in ihren modernen Rucksäcken, genau wie bei ihren Vorfahren vor mehr als 100 Jahren – gelernt von der Geschichte für die Herausforderungen der Gegenwart.
Katharina Kestler, 2019.
Katrin Kaschadt, Inge Weid: ‚… eine Ergänzung des menschlichen Körpers‘ Ausrüstung und Bekleidung, in: DAV (Hrsg.): Die Berge und wir. 150 Jahre Deutscher Alpenverein, München 2019
Im Titel verwendete Bilder:
Nicht aus- und abrutschen. Alpines Museum des DAV, München. Foto: Bettina Warnecke.
Im Schnee bewegen. (Foto: DAV/Bettina Warnecke)