„Die uns umgebenden, unsichtbaren, aber um so mehr fühlbaren Ghettomauern.“ Antisemitismus im Alpenverein

Text: Friederike Kaiser, Max Wagner

Im Januar 1925 erhielt die Alpenvereinssektion München ein Schreiben, in dem 83 Münchner*innen ihren Austritt erklärten. Darunter befanden sich so prominente Personen wie Dr. Leo Baerwald, Rabbiner der Münchner Hauptsynagoge, und mehrere Mitglieder der Familie Feuchtwanger. Dem vorangegangen war die Praxis des Sektionsvorstandes, keine Jüdinnen*Juden mehr in die Sektion aufzunehmen.[1] In der Sektion Rheinland-Köln war schon 1921 zehn Anwärtern jüdischer Herkunft die Aufnahme verweigert worden.[2] In Hamburg und Berlin führte die Frage um das Abstimmungsverhalten der Sektionsvorstände in der sogenannten Donaulandfrage, dem Ausschluss der vorwiegend aus jüdischen Mitgliedern bestehenden Sektion Donauland aus dem Alpenverein im Dezember 1924, zu tumultartigen Sitzungen. In beiden Sektionen trat eine große Anzahl von Mitgliedern aus, darunter in Hamburg der Bürgermeister Dr. Carl Wilhelm Petersen.[3]

Was war passiert? Wieso kam es im Deutschen Alpenverein schon lange vor der Machtübernahme der Nationalsozialisten zur Ausgrenzung von Jüdinnen*Juden? Die Geschichte dazu wurde in den letzten 15 Jahren von verschiedenen Seiten untersucht. Wir möchten in diesem Aufsatz jedoch insbesondere der Frage nachgehen, welche Zusammenhänge sich erkennen lassen und weshalb sie im Alpenverein so ausgeprägt waren.

Seit Gründung des Deutschen Alpenvereins im Jahr 1869 waren Jüdinnen*Juden in vielen Sektionen Mitglieder. Der Alpenverein wollte „alle Verehrer der erhabenen Alpenwelt in sich vereinigen“.[4] Bereits im Gründungsjahr trat beispielsweise der jüdische Notar Dr. Ignaz Ortenau (1830–1883), Rechtsberater des späteren Prinzregenten Luitpold, in die Sektion München ein.[5] Ab 1867 waren Jüdinnen*Juden mit Angehörigen anderer Religionsgemeinschaften in der Doppelmonarchie Österreich-Ungarn gleichgestellt. Das Deutsche Reich zog 1871 mit dem Inkrafttreten seiner neuen Verfassung nach. Schon in den Jahrzehnten zuvor hatte sich das Zusammenkommen, unter anderem durch die Mitgliedschaft in Vereinen, intensiviert.[6]

Ab Ende der 1870er-Jahre zeichnete sich jedoch ein neuer Antisemitismus in der Gesellschaft ab. Personen wie der politisch wirksame Berliner Hofprediger Adolf Stoecker und der in Hamburg lebende Publizist Wilhelm Marr verknüpften ihren Kampf um eine deutschnationale Ausrichtung, gegen Liberalismus und den modernen Kapitalismus mit dem Judentum. In Österreich verbreitete Georg von Schönerer mit der deutschnationalen Bewegung der Alldeutschen eine ähnliche Ideologie. Insbesondere unter Student*innen fand dieser neue Antisemitismus große Resonanz.[7] Im Alpenverein schlug sich dies ab den 1890er-Jahren nieder. Sektionen beantragten, in ihren Satzungen „Arierparagraphen“ – also den rechtlich verbindlichen Ausschluss von Jüdinnen*Juden – einzuführen. Insbesondere in den akademischen Sektionen waren nationalistische, antisemitische und völkische Ideen verbreitet. 1891 wollte sich die Akademische Sektion Graz als erste Sektion mit einem „Arierparagraphen“ gründen. Als deutsche Sektionen folgten, soweit bekannt, 1899 die Sektion Mark Brandenburg und 1910 die Akademische Sektion München. Die Gremien des Alpenvereins, die über die Satzungen zu befinden hatten, genehmigten „Arierparagraphen“ in der Regel jedoch nicht, da sie als politisch und damit vereinsschädlich galten.[8] Positionen völkischer Ideologie verbreiteten sich insbesondere in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg dennoch rasant. So zu erkennen in einem Antrag an die Hauptversammlung im Jahr 1913: Die Publikationen des Alpenvereins sollten in einem symbolischen Bekenntnis zum Deutschtum zukünftig in deutschen Lettern, der Fraktur, gedruckt werden. Mit zwei zu einem Drittel der Delegierten wurde der Antrag – noch – abgelehnt.[9]

Der Beginn des Ersten Weltkriegs und später die deutsche und österreichische Niederlage sorgten im Alpenverein für eine veränderte Stimmung. Mit Beginn des Krieges stellte er die Vereinspublikationen auf Fraktur um. Und auf der ersten Nachkriegssitzung des Hauptausschusses im Oktober 1919 kam der „Arierparagraph“ in den Sektionssatzungen erneut auf die Tagesordnung. Der Vorsitzende des Verwaltungsausschusses plädierte für eine Abschaffung des Verbots mit dem Argument: „Die antisemitische Bewegung sei nun einmal da, stärker als je, und diese Bewegung würde auch im Alpenverein immer mehr in Erscheinung treten.“[10] Der Erste Vorsitzende des Alpenvereins, Reinhold von Sydow, sprach sich – wenngleich selbst antisemitische Positionen vertretend[11] –, zwar deutlich gegen die Abschaffung des Verbots aus, doch im Mai 1920 hob der Hauptausschuss es „mit überwiegender Stimmenmehrheit“ auf.[12]

Insbesondere in Wien hatte dies fatale Folgen. Hier hatte sich der Antisemitismus nach dem Zusammenbruch der österreichisch-ungarischen Doppelmonarchie stark ausgebreitet. Mithilfe einzelner Agitatoren, unter anderem Walter Riehl, dem führenden Politiker der österreichischen Nationalsozialisten, der sich die „Reinigung der Touristenvereine“ auf die Fahne geschrieben hatte, wählte die Sektion Austria im Februar 1921 einen völkischen Vorstand mit dem Antisemiten Eduard Pichl an der Spitze. Alle anderen Wiener Sektionen waren zu diesem Zeitpunkt bereits antisemitisch ausgerichtet. Jüdinnen*Juden sowie diejenigen, die die neue Ausrichtung der Vereine verurteilten, traten aus. Eine große Zahl von ihnen sammelte sich zur Gründung einer neuen Sektion und stellten im März den Antrag, als Sektion Donauland in den Alpenverein aufgenommen zu werden.[13]

Auf der Verbandsebene des Alpenvereins war damit die Frage zurück, wie sich der Verein zum Ausschluss von Jüdinnen*Juden stellte. Schon das Aufnahmeansuchen führte zu Auseinandersetzungen. Über dreißig österreichische Sektionen sowie der Münchner Ortsausschuss, die Vertretung der Münchner Sektionen, protestierten. Mit einer knappen Mehrheit beschloss der Hauptausschuss trotzdem die Aufnahme. In den folgenden Jahren setzte sich die antisemitische Agitation fort. Rund zwanzig Sektionen, vor allem in Österreich, verwehrten als weiteres Druckmittel ab Sommer 1921 Jüdinnen*Juden sowie Mitgliedern der Sektion Donauland den Zutritt zu ihren Hütten. Trotz Verwarnungen des Verbands ließen sie sich nicht von dieser Praxis abbringen – ein offener Satzungsbruch, der nicht sanktioniert wurde. Die Vereinsleitung suchte nach einem „Kompromiss“. Donauland solle freiwillig austreten, die Gegner dafür auf politische Agitation auf Verbandsebene verzichten. Schon dieser Vorschlag war ein Affront, den die Sektion Donauland ablehnte. Am 14. Dezember 1924 verabschiedete eine extra dafür einberufene außerordentliche Hauptversammlung des Alpenvereins im Deutschen Theater in München schließlich den Ausschluss mit 95 Prozent der Stimmen. Damit waren zwar die verbandsinternen Auseinandersetzungen beigelegt, doch die Antisemit*innen hatten die große Mehrheit des Verbands auf ihre Seite gezogen und es geschafft, den Antisemitismus im Verband endgültig zu etablieren sowie den Alpenverein nach außen völkisch und antisemitisch zu positionieren.[14]

Zeitungsausriss mit Meldung über Hakenkreuze an der Radstädter Hütte, mit handschriftlichem Kommentar eines Hauptausschuss-Mitglieds des Alpenvereins.
Abb. 1.: Zeitungsausriss mit Meldung über Hakenkreuze an der Radstädter Hütte, mit handschriftlichem Kommentar eines Hauptausschuss-Mitglieds des Alpenvereins. Österreichischer Alpenverein, Archiv und Museum
„Der judenreine Alpenverein“, Karikatur von Paul Humpoletz.
Abb. 2: „Der judenreine Alpenverein“, Karikatur von Paul Humpoletz. Aus: Der Götz von Berlichingen, Nr. 51, 1924. Österreichischer Alpenverein, Archiv und Museum

Ein Kommentar in der Zeitung Das Jüdische Echo gibt die Bedeutung der Entscheidung für die Ausgeschlossenen wieder: „Das schlimmste ist nicht, daß die Juden aus dem Alpenverein hinausgedrängt werden. Wir sehen, daß unter der fortschreitenden Vergiftung der ‚Völker deutscher Zunge‘ durch die Judenhetze unser Lebenskreis, die uns umgebenden unsichtbaren, aber um so mehr fühlbaren Ghettomauern uns immer enger einschließen.“[15]

In der Folge bildeten sich in Berlin und München zusätzlich zum Alpenverein Donauland in Wien eigenständige Alpenvereine mit vorwiegend jüdischen Mitgliedern, deren Aktivitäten sich wenig von denen einer herkömmlichen Alpenvereinssektion unterschieden. Gemeinsame Ausflüge, Vortragsabende, ein Publikationsorgan und der Hüttenbau gehörten dazu.[16] Die eingangs erwähnten Sektionen in Köln und Hamburg hatten sich gegen die Einführung von „Arierparagraphen“ entschieden, die Hamburger sogar einen Juden in ihren Aufnahmeausschuss gewählt, doch Jüdinnen*Juden traten, dies wissen wir zumindest von der Kölner Sektion, kaum noch ein.[17]

Das Friesenberghaus, erbaut als Hütte des Alpenvereins Berlin
Abb. 3: Das Friesenberghaus, erbaut als Hütte des Alpenvereins Berlin. Foto von Wilhelm Durand, Architekt des Friesenberghauses, September 1929. Deutscher Alpenverein, Archiv, Bibliothek und Museum

Viele deutsche Sektionen hatten in der Folge offiziell keinen Arierparagraphen. 1928 konstatierte der Anwalt Georg Franz Bergmann in der Bayerischen Israelitischen Gemeindezeitung: „In Oesterreich herrscht bei acht Zehnteln der Sektionen der Arierparagraph, die deutschen Sektionen nehmen in ihrer Mehrzahl wie auch vor dem Kriege Juden auf.“[18] Allerdings praktizierten viele Sektionen, die noch keinen „Arierparagraphen“ in ihren Satzungen verabschiedet hatten, diesen über zum Teil geheime Abstimmungen in den sektionseigenen Aufnahmeausschüssen.[19]

Warum aber bildete der Alpenverein einen so fruchtbaren Nährboden für Antisemitismus und völkisches Denken? Grundlagen hierfür sind im alpenvereinsspezifischen Verständnis von Natur, Kultur und Gesellschaft erkennbar. Das Verständnis von Natur hatte im 19. Jahrhundert eine Aufwertung erfahren, die sich in den bürgerlichen Schichten, aus denen sich der Alpenverein bis in die 1920er-Jahre vornehmlich zusammensetzte, manifestierte. Es war quasireligiös aufgeladen und hing eng mit der aufkommenden Moderne zusammen. Im Zuge der Auflösung alter Welterklärungsmuster wie den christlichen Religionen oder dem Ständesystem wurde Natur nun zu einem Haltgeber, einem Ordnungs- und Wertemaßstab. Natur galt als das „Beständige“, das „Natürliche“ und „Richtige“.[20]

Mit der sich ausbreitenden Industrialisierung erlangte diese Auffassung von Natur zentrale Bedeutung. Im Alpenverein wurden die Begleiterscheinungen der Industrialisierung – die Veränderung der Arbeitswelt und die Anforderungen an das Individuum – als Krise, und Natur als das „Andere“, als Kompensationsort und Gegenwelt empfunden. Natur war eine Kontrastfolie zu den Herausforderungen der Gegenwart und Bergsteigen war die Vermittlerin dieser Wahrnehmung. Die Vermittlung verlief dabei nicht rational, sondern über das „Gefühl“. Natur wurde emotionalisiert, die Bergsteiger*innen konnten beispielsweise einen Sonnenauf- oder -untergang fühlen. Dabei galt diese Wahrnehmung als etwas Nicht-Erklärbares, als etwas, das „zu groß“ sei, um es in Worte zu fassen. Hinzu kam eine verstärkte Betonung von „Werten“ und „Idealen“ seitens des Bürgertums. Diese Werte und Ideale sollten die Gesellschaft zu einer besseren machen und waren damit auf eine Zeit ausgerichtet, die noch kommen sollte. Die Orientierung auf Zukunft trug zugleich das Potenzial in sich, die Gegenwart zugunsten der Zukunft abzuwerten. Kombiniert mit dem Verständnis von Natur als etwas Höherem, Idealem hatte dies enorme Auswirkungen auf das Bild der Zeit und der Gesellschaft. Das Bergsteigen bekam eine besondere Bedeutung zugeschrieben. Durch die Betätigung in der Natur und die Auseinandersetzung mit ihr wurde es zum Heilmittel erklärt, das den modernen Menschen, der an den Erscheinungen der Moderne leide, kurieren könne. So mischte sich in das über das Gefühl vermittelte Bild von Natur das Gefühl, in einer Zeit ohne Ideale und Werte zu leben.[21]

Diese kulturkritische, mitunter kulturpessimistische Perspektive auf die Gegenwart war ab den 1890er-Jahren auch in der Gesellschaft weit verbreitet. Im Alpenverein radikalisierte, verfestigte und verstärkte sich diese Perspektive. Zahllose Aufsätze in den Alpenvereinspublikationen zeugen davon. Besonders bei den Anhänger*innen des Bergsteigens schärferer Richtung galt Bergsteigen als „Kampf“ um ein nicht näher definiertes „höheres“ Ziel. Bergsteigen wurde zu einer heroischen Tat stilisiert. Die Bergsteiger*innen verstanden Bergnatur dabei als Erfahrungsraum des „Unendlichen, Unwandelbaren, ewig Schönen und Grossen“[22] und fühlten im selben Atemzug den Alltag in der Zivilisation als „verflachend“ [23], „degenerierend“,  „verkümmernd“,  „zersetzend“. Beide Perspektiven waren nun in einem einzigen Gefühl zusammengekommen. Es grenzte ab von der Gesellschaft, von der „Masse“, und machte die Bergsteiger*innen zu einer elitären „Gefühlsgemeinschaft“ [24], einer Gemeinschaft von Auserwählten. Das musste nicht zwangsläufig zu einer Loslösung von der modernen Gesellschaft führen und kann sicherlich nicht für alle Bergsteiger*innen des Alpenvereins konstatiert werden. Jedoch beinhaltete diese Auffassung erhebliches antiliberales und antisoziales Potenzial und Schnittmengen zu Elementen völkischer Ideologie. Die Distanz zur modernen Gesellschaft und die Suche nach Orientierungskategorien konnte zuletzt auch zu einer Hinwendung zu vermeintlich zeitlosen Gemeinschaften, beispielsweise einem „Volk“ – nicht einer Nation –, führen.[25]

Im Alpenverein verstärkte auch das bürgerliche Verständnis von Kultur und Bildung Ausprägungen derartiger „Schattenlinien“[26]. Bildung bedeutete im 19. Jahrhundert die Bildung des Menschen zu einem besseren Menschen. Das Bildungsverständnis war dabei ebenfalls quasireligiös aufgeladen und zeigte sich in der Hervorhebung „echter Werte“.[27] Das Ideal des „guten“, „wertegeleiteten“ Lebens war für viele der Mitglieder über allem anderen angesiedelt, beispielsweise über ökonomischen Zielen. Zugleich war im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts und im beginnenden 20. Jahrhundert die spürbare gesellschaftliche Ausrichtung an ökonomischen Prinzipien auf besondere Art und Weise erkennbar geworden. In den Publikationen des Alpenvereins wurde in der Folge immer häufiger gegen einen aufkommenden „Materialismus“ gewettert. Auch diese Perspektive mischte sich in das verbreitete Bild von Gesellschaft und Natur. So bestand bereits um die Jahrhundertwende im Alpenverein die Kontrastfolie der Natur, die „hohe“, „kulturelle“ Werte vermittle, in Gegnerschaft zu einer „niederen“, „materialistischen“ und „kleinlichen“ Zivilisation und zugleich eine elitäre Gefühlsgemeinschaft in Gegnerschaft zu einer „blinden“, „ohne Ideale“ lebenden Gesellschaft. Diese Trennlinien wurden immer schärfer gezogen, desto mehr die Protagonist*innen mit den Widersprüchen und Uneindeutigkeiten der Zeit konfrontiert waren.[28]

Zugleich waren viele Mitglieder des Alpenvereins selbst handelnder, bisweilen prägender Teil eines auf ökonomischen Gewinn ausgerichteten Systems und in gleichzeitiger Gegnerschaft zu den Konsequenzen desselben, wie beispielsweise die überall sichtbare Armut. Dieser Widerspruch war eklatant. Über das Bildungsverständnis des Bürgertums versuchten sie diesen aufzulösen. Bildung, also die Selbstbildung zu einem besseren Menschen, war stets auch ausgerichtet auf die Entstehung einer „besseren“ Gesellschaft. Das bedeutete, dass die Bildung am Selbst gleichzeitig als Dienst für die Gesellschaft verstanden wurde. Daher musste die eigene Beteiligung am ökonomischen Prinzip als Dienst an einer Gemeinschaft gedeutet werden. Zugleich waren aber die negativen Auswirkungen der ökonomischen Ordnung zu erklären. Das Motiv der egoistischen Gier und des Zinsgeschäfts wurden dabei zu zentralen Erklärungsmustern. Eine Unterscheidung „zwischen einer guten, konkreten und einer schlechten [,] abstrakten Seite der Warenproduktion“[29] setzte sich im 19. Jahrhundert durch und wurde – ebenso wie andere Widersprüche – ausgelagert und personifiziert. Die Figur des „Geldjuden“ [30], die bereits seit dem Mittelalter entsprechend konnotiert war, wurde zur Projektionsfläche. So wurden „die unverstandenen Momente der neuen Gesellschaftsordnung“[31] auf einen Sündenbock verlagert und „sichtbar“ gemacht.[32] Diese Grundelemente waren auch im Alpenverein vorhanden und verbreitet. Auf ihnen konnte das antisemitische und völkische Denken der 1920er-Jahre aufbauen.[33]

Mit der Niederlage Deutschlands und Österreichs im Ersten Weltkrieg und der Krisenerfahrung in der Weimarer Republik verschärften und radikalisierten sich diese Perspektiven. Stärkere Status- und soziale Existenzbedrohungen, ein sich weiter ausbreitendes Nebeneinander von Weltdeutungsmustern und ein gekränktes Nationalgefühl sorgten in der Gesellschaft wie im Alpenverein zu einer Hinwendung zum „Deutschtum“ und einem nationalistischen bis völkischen Verständnis von Gemeinschaft.[34] Natur wurde zunehmend zur „deutschen Landschaft“[35] stilisiert und fand entsprechenden Eingang in die bisherige Wahrnehmung der alpinen Landschaft. Der Alpenverein begriff Bergsteigen nun nicht mehr nur als Dienst an der Verbesserung einer Gesellschaft, sondern als Mittel zur „Gesundung und Erstarkung“[36] eines „darniederliegenden [deutschen] Volke[s]“[37]. Gustav Müller, völkischer Nationalist und Sprecher der sogenannten Bergsteigergruppe, einer in den 1920er-Jahren enorm einflussreichen Interessensgemeinschaft im Alpenverein, stellte dies in seinen alljährlichen Reden auf den Hauptversammlungen des DuOeAV immer wieder heraus: „Ja, in den Bergen thronen noch die Ideale. Dort ist Erkenntnis der Bedeutungslosigkeit des eigenen Ichs. Dort paaren sich Demut und Mut, dort straffen sich Sinn und Trachten zum unbeugsamen Willen, dort lernt sich herbes Müssen und Ausharren im Kampf, […] dort sind Seele und Kraft, dort gilt nur der Wert um seiner selbst willen, nicht die Maske, dort ist das Land des uneigennützigen Kampfes, dort lodert das Feuer der Liebe zur Heimat. Aus diesen Schätzen, Alldeutschland, hole dir Willen, Mut und Kraft zum Kampf um dein Sein, dort, Jungdeutschland, stähle Arme, Sinne und Willen, nähre deine Seele und schmiede deine Wehr!“[38]

Müllers Reden stießen auf immense Zustimmung, drückten sie doch das allgemeine Gefühl im damaligen Alpenverein aus. Bereits 1919 verabschiedete die Hauptversammlung einstimmig drei Leitsätze, deren erster lautete: „Eines der wichtigsten Mittel, um die sittliche Kraft des deutschen Volkes wiederherzustellen, ist der Alpinismus, und zwar in Form der bergsteigerischen Arbeit. Denn diese ist geeignet, überaus wertvolle, hauptsächlich auf dem Gebiete des Willens liegende geistige Kräfte zu wecken und zu stärken und damit die Entwicklung echter deutscher Mannestugenden zu fördern. Die bergsteigerische Arbeit auf jede mögliche Weise und in möglichst ausgedehntem Maße zu pflegen ist daher eine besonders wichtige Aufgabe des Alpenvereins.“[39]

Kaum eine größere Debatte in den 1920er-Jahren kam aus, ohne die deutschnationale Bedeutung des Gegenstands zu betonen.[40] 1927 beschloss der Alpenverein eine umfassende Satzungsänderung als Resultat aus den Diskussionen der vorangegangenen Jahre. Die Delegierten erweiterten die Ziele des Vereins um die Förderung des Bergsteigens und das Erhalten der „Schönheit und Ursprünglichkeit“[41] der Ostalpen. Doch beides sollte, laut der neuen Satzung, nicht um ihrer selbst willen geschehen, sondern um die „Liebe zur deutschen Heimat zu stärken und zu pflegen“ [42]. Damit hatte jegliche Tätigkeit im Verein eine deutschnationale Zielrichtung bekommen.

Im Alpenverein gab es noch einen weiteren Grund für die Hinwendung zum „Deutschtum“ und die deutschnationale Aufladung von Berglandschaft und Bergsteigen, die auch dem Antisemitismus eine zusätzliche Durchschlagskraft verlieh. Es handelt sich um die Erzählung der „geknechteten Deutschen“[43] durch „landfremde Geldmächte“,[44] dem „internationale[n] Judentum“[45]. Die Bedeutung dieses in der Weimarer Gesellschaft weit verbreiteten antisemitischen Ressentiments erfolgte dabei beispielsweise über die „Dolchstoßlegende“.[46] Im Alpenverein besaß es als eines der zentralen Argumente für den Ausschluss der Sektion Donauland 1924 besondere Bedeutung. Die Blockbildung in österreichische Sektionen, die allesamt den Ausschluss der Sektion Donauland einforderten, und deutsche Sektionen, die nur zum Teil an einem Ausschluss aus antisemitischen Gründen Interesse hatten, sorgte im Alpenverein für eine drohende Aufspaltung und damit das Ende des grenzübergreifenden, großdeutschen Vereinswesens. In den Diskussionen auf der außerordentlichen Hauptversammlung 1924 wurde das in der Forderung hervorgehoben, die deutschen „Bande“[47] nicht „zu zerreißen“[48], und gegen die als jüdisch erachtete Sektion Donauland angeführt. Für die „Gesundung und Erstarkung des deutschen Volkes“ [49], zu dem nach Alpenvereinsverständnis sowohl die österreichische wie auch die deutschsprachige Bevölkerung Südtirols gehörte, galten diese „Bande“ als besonders wichtig, denn sie konnten auf andere als Vorbild für „deutschen Zusammenhalt“ wirken. Da „Juden“ seit Langem als „international“ betrachtet wurden, war die Frage des Zusammenhalts auch eine Frage des „Deutschen“ gegen das „Fremde“.[50] Der mögliche Zerfall des deutsch-österreichischen Alpenvereins wurde hierbei als „Vernichtung“[51] des „Lichtblicks“[52] derjenigen Deutschen verstanden, die außerhalb der nach dem Versailler Vertrag gezogenen Grenzen lebten.[53] So durfte es kein Hindernis darstellen, für die großdeutsche Einheit eine „nicht-deutsche“ Sektion auszuschließen.

Während des Nationalsozialismus

Viele Alpenvereinssektionen begrüßten das NS-Regime offiziell in ihren Vereinsberichten. Der Deutsche und Oesterreichische Alpenverein behielt zunächst seine Eigenständigkeit, doch die reichsdeutschen Sektionen wurden in den Nationalsozialistischen Reichsbund für Leibesübungen (NSRL) eingegliedert. Die meisten reichsdeutschen Sektionen führten nun „Arierparagraphen“ ein, die zumindest neu aufzunehmende Mitglieder betrafen.[54]

Wie sich die Sektionen in Einzelfällen verhielten und wie groß ihr Handlungsspielraum war, war höchst unterschiedlich. Einzelne Sektionen zögerten Vereinsaustritte, vor allem von langjährigen, verdienstvollen Mitgliedern, so lange wie möglich hinaus. Dazu gehörte beispielsweise die Sektion Freiburg, deren „Arierparagraph“ unter anderem ausdrücklich die verschonte, die bereits vor 1914 der Sektion beigetreten waren, im Krieg als Soldat gekämpft oder dort Angehörige verloren hatten. Der ambitionierte Bergsteiger und Kletterer Dr. Robert Liefmann blieb so bis 1938 Mitglied der Sektion.[55]

Karteikarte der Sektion Freiburg im Breisgau für ihr Mitglied Dr. Robert Liefmann.
Abb. 4: Karteikarte der Sektion Freiburg im Breisgau für ihr Mitglied Dr. Robert Liefmann. Auf der Karteikarte ist zu erkennen, dass Liefmanns Eintrittsdatum (1904) in die Sektion nachgetragen wurde. Alle Mitglieder, die vor 1914 beigetreten waren, mussten 1933 nicht ausscheiden. 1938 schloss die Sektion ihre letzten jüdischen Mitglieder, darunter Liefmann, aus. Er starb 1941 im Konzentrationslager Gurs. Archiv DAV Sektion Freiburg
Chronik der Bergsteigervereinigung „Mir san g’stellt“ der Sektion Nürnberg.
Abb. 5: Chronik der Bergsteigervereinigung „Mir san g’stellt“ der Sektion Nürnberg. Ausschluss von Oskar Kühlken am 11. Oktober 1933. „[…] am 11. Oktober verließ Oskar Kühlken unsere Reihen, weil seine Mutter eine Jüdin war, was wir bei seiner Aufnahme nicht wußten, sonst wäre sie wohl nicht erfolgt, denn MSG hielt sich von je her judenrein.“ Archiv DAV Sektion Nürnberg

Auch der Lehrer Dr. Otto Hess wurde bis zu seinem Unfalltod an der Ifingerspitze bei Meran im Jahr 1937 als Mitglied der Sektion Kassel geführt. Die Sektion forderte einen Ariernachweis nur für neu eintretende Mitglieder.[56] Doch es gibt auch andere Beispiele. Die Sektion Nürnberg schloss den „Halbjuden“ und späteren Filmemacher Oskar Kühlken 1933 aus. Kühlken war damals einer der besten Bergsteiger der Sektion, leitete zahlreiche Sektionskurse und war maßgeblich an der Organisation der Bergsteiger in der Sektion beteiligt. Unter anderem hatte er regelmäßige „Sprechabende“ mit Berichten über Bergfahrten und theoretischem Inhalt wie Steigeisennutzung und Kartenlesen ins Leben gerufen.[57]

1938 wurde Österreich dem Deutschen Reich „angeschlossen“. Der Alpenverein wurde umgehend gleichgeschaltet und in seiner Gesamtheit dem Nationalsozialistischen Reichsbund für Leibesübungen eingegliedert. Eine Mustersatzung mit „Arierparagraphen“ wurde nun für alle Sektionen verpflichtend. Jüdinnen*Juden waren damit endgültig aus dem Alpenverein ausgeschlossen.[58] Schon 1933 war der unabhängige Deutsche Alpenverein Berlin aufgelöst worden, nun folgte auch der Alpenverein Donauland in Wien.

Nach 1945

In den Jahren nach 1945 wurde der Antisemitismus im Alpenverein und seine Zusammenarbeit mit dem NS-Regime nicht mehr thematisiert. Man „übersprang“ die „dunkle Zeit“ und damit auch das Verhalten des Alpenvereins gegenüber seinen jüdischen Mitgliedern.[59] Immerhin war in der Satzung des 1950 wiedergegründeten Deutschen Alpenvereins (DAV) ausdrücklich formuliert: Der Verein „lehnt Bestrebungen und Bindungen klassen- und rassentrennender sowie militaristischer Art ab“.[60] Doch die Reaktion auf eine Anfrage an den Verwaltungsausschuss des DAV vom November 1952, wie die „Diffamierung der nicht-arischen Mitglieder wieder gut zu machen“ sei, weist kein Unrechtsbewusstsein, Empathie oder Sensibilität auf. Den Sektionen wurde lediglich empfohlen, den „aus den Sektionen entfernten Mitgliedern mitzuteilen, daß die Mitgliedschaft nicht als erloschen gilt, sofern sie jetzt ausdrücklich wieder aufgenommen wird; von einer Beitragsnachzahlung von 1933/34 bis 1952 wird dann Abstand genommen“.[61]

Empfehlung des Verwaltungsausschusses des DAV zum Umgang mit ausgeschlossenen jüdischen Mitgliedern.
Abb. 6: Empfehlung des Verwaltungsausschusses des DAV zum Umgang mit ausgeschlossenen jüdischen Mitgliedern. Auszug aus dem Protokoll der Sitzung vom 28.11.1952. Deutscher Alpenverein, Archiv, Bibliothek und Museum

Auf Sektionsebene existieren nur wenige Quellen, die jedoch ein ähnliches Bild zeichnen. So versuchte Paul Hübel, der sich 1947 auch gegen die Einsetzung von belasteten Personen bei der Neugründung des Verbands eingesetzt hatte, seine Sektion Bayerland dazu zu bewegen, jüdische und andere Mitglieder, die zwischen 1933 und 1945 ausgeschlossen worden waren, anzuschreiben und zum Wiedereintritt zu bewegen. Seinem Antrag wurde nicht stattgegeben und stattdessen ein korrigierter Text verabschiedet, der besagte, dass in gleicher Weise auch Nationalsozialisten – also die Täter, die nach 1945 ebenfalls ausgeschlossen worden waren – der Wiedereintritt angeboten werden solle.[62]

Noch 1967 beschloss der Dachverband, ausgerechnet Franz Grassler – mehrere Jahre stellvertretender Kommandant des Warschauer Ghettos – damit zu beauftragen, das Friesenberghaus und die Glorerhütte zu inspizieren; diese war im selben Jahr dem DAV von den letzten Mitgliedern des ehemaligen Alpenvereins Donauland angeboten worden. Später wurde der ehemalige Richter, Mitarbeiter des Bayerischen Rundfunks und des Rother-Verlags zum Referenten für Öffentlichkeitsarbeit im DAV berufen. Erst 1984 legte Grassler sein Amt nieder. Ein Jahr später fand die Erstaufführung des Films Shoah von Claude Lanzmann statt, in dem auch ein ausführliches Interview mit Grassler zu sehen ist, der als Zeuge auf der Seite der Täter befragt wurde.[63]

Kontinuitäten

„Wir wissen zu gut, daß die Jüngeren nur etwas erreichen können, wenn sie auf den Werken der Älteren aufbauen.“[64] Diese Worte von Albert Heizer, damals Vorsitzender der Landesarbeitsgemeinschaft, einer der beiden Vorgängerorganisationen des Deutschen Alpenvereins nach 1945, gaben die Denkrichtung des neu zu gründenden Vereins vor. Sie war nach wie vor beherrscht von der Idee eines Bergsteigens mit Elementen der Gefahrenverherrlichung, Männlichkeit, Kameradschaft und kulturkritischen bis kulturpessimistischen Perspektiven.[65]

Stärker noch als zuvor wurde in den Vereinsorganen und den Hauptversammlungen eine Verinnerlichung von Werten eingefordert, die die Bergsteigenden bei ihrer Tätigkeit erfahren und die ihre Persönlichkeit prägen würden. Diese Werte – oft als „echt“, „wahr“ oder „tief“ beschrieben – galten weiterhin als „nicht in Worte fassbar“. Sie knüpften an die elitäre Gefühlsgemeinschaft der vorangegangenen Epochen an. Aus ihr leitete der Alpenverein eine sich selbst gegebene gesamtgesellschaftliche, zumeist als kulturell bezeichnete Aufgabe ab. Für Alfred Jennewein, Alpenvereinsvorsitzender von 1950 bis 1958, war das Bergsteigen nach wie vor Mittel gegen eine „überall vorhandene Zersetzung“ [66], das die Menschheit vor ihrem Niedergang bewahren könne: „Ich bin der stolzen Auffassung, daß diesen Kampf um das Menschentum in der Tiefe des Verteidigungsfeldes unser Deutscher Alpenverein führen soll und zu führen auch in der Lage ist.“ [67]

Im Vorstand des Alpenvereins verlieh besonders der Zweite Vorsitzende Albert Heizer dieser Gefühlsgemeinschaft Ausdruck. So seien die Bergsteiger „dem Irrationalen verbunden“ [68], würden „einer unsagbaren Sehnsucht folgend hinausstreben aus der Flut des Materiellen hinauf in reine Höhen, in das Geheimnisvolle, […] zum Göttlichen“,  um dort „für etwas Ideales [zu ringen]“. Aus dem Zusammenkommen von Bergsteigenden, die diese Empfindungen teilten, setzte sich Heizer zufolge eine „echte Gemeinschaft“[69] zusammen. Auf diese Weise blieb die vorherige Volksgemeinschaftsideologie in der Nachkriegszeit erhalten, ohne dass offen deutschnationale Positionen noch eine größere Rolle spielten.

Schließlich trug vor allem die Alpenvereinsjugend zu einem veränderten Selbstverständnis des Vereins bei. Seit 1952 ist sie im Bundesjugendring organisiert, der von seinen Mitgliedsorganisationen politisches Engagement fordert. Zunächst stand die Jugend dieser Bedingung skeptisch gegenüber, doch letztlich war sie es, die in den 1960er-Jahren erste Debatten über eine Abkehr vom unpolitischen Vereinsverständnis führte und die Forderung nach politischer Betätigung in den Hauptausschuss trug.[70]

Zusammen mit einem verstärkten Engagement des Vereins in naturschutz- und umweltpolitischen Fragestellungen führte dies 1975 zu einer Satzungsänderung. Die seit 1924 verfolgte Maxime „Der Verein ist unpolitisch; die Erörterung und Verfolgung politischer Angelegenheiten liegt außerhalb seiner Zuständigkeit“[71] wurde aufgegeben und das Engagement des DAV stattdessen mit „Der Verein ist politisch und konfessionell ungebunden. Die Verfolgung politischer Ziele außerhalb des Vereinszweckes ist unstatthaft“[72] formuliert. Gerade an der Jugend lassen sich zudem bereits in den 1950er-Jahren erste Ansätze von Vielfaltsdenken und eine Abkehr von bisherigen, auf Gefahren- und Heldentum basierenden Bergsteigeridealen erkennen.[73]

Einweihung der Gedenkplakette Gegen Intoleranz und Hass auf dem Friesenberghaus, 13. Juli 2003
Abb. 7: Einweihung der Gedenkplakette Gegen Intoleranz und Hass auf dem Friesenberghaus, 13. Juli 2003. Foto von Hans Ehrlich. Deutscher Alpenverein, Archiv, Bibliothek und Museum

Ein Bewusstsein für den frühen Antisemitismus im Verein, die Betätigung im und für den Nationalsozialismus sowie eine erste kritische Beschäftigung damit lässt sich dagegen erst gegen Ende der 1980er-Jahre wahrnehmen.[74] Neben der gesellschaftlich zunehmend geforderten Auseinandersetzung dürfte dafür auch der Umstand verantwortlich sein, dass nun die Generation in die Ämter kam, die die nationalsozialistische Zeit höchstens noch als Kind miterlebt hatte. Ein Ergebnis daraus ist die Resolution „Gegen Intoleranz und Hass“, die der Hauptausschuss des Deutschen Alpenvereins 2001 verabschiedete: „Der Deutsche Alpenverein e. V. (DAV) bedauert – im Rückblick auf seine Geschichte – ausdrücklich die Vorgänge im damaligen Deutschen und Österreichischen Alpenverein (D. u. Ö. A. V.), die 1924 zum Ausschluss der Sektion „Donauland“ und in dessen Folge zur Gründung des „Deutschen Alpenvereins Berlin e. V.“ geführt haben. In jener Zeit hat der Alpenverein dem Druck von antisemitisch eingestellten Sektionen nachgegeben und sich nicht schützend vor seine jüdischen und die sie unterstützenden nichtjüdischen Mitglieder gestellt. […]“[75]

Sie war der Beginn einer intensiven Zusammenarbeit des DAV-Bundesverbands mit der israelitischen Kultusgemeinde München und einer Auseinandersetzung des Themas Antisemitismus durch den DAV, ÖAV und AVS sowie diverse Sektionen in ihren Regionen vor Ort. Heute engagiert sich der DAV für eine offene, vielfältige und tolerante Gesellschaft. Die Basis dazu ist das Bewusstsein für seine Geschichte und die Beschäftigung mit ihr.


Quellen:

  • [1] Vgl. 55. Jahresbericht (Vereinsjahr 1924) der Alpenvereins-Sektion München (E. V.). O. O. o. J., 12f.; Schreiben an die Sektion München vom 23.1.1925 mit einer Liste derer, die ihren Austritt erklärten (Wiener Library, London, MF Doc 55). Vgl. zusammenfassend Achrainer, Martin/Mailänder, Nicholas: Der Verein, in: DAV/ÖAV/AVS (Hg.): Berg Heil! Alpenverein und Bergsteigen 1918–1945. Köln u. a. 2011, S. 193-318, S. 246f.
  • [2] Vgl. Postert, André/Kruse, Reinhold: ‚Wer Mitglied werden will, muß arischer Abstammung sein.‘ Der Antisemitismus in der Sektion Rheinland-Köln des Alpenvereins, o. O. o. J., S. 9.
  • [3] Vgl. DAV Sektion Hamburg und Niederelbe (Hg.): Zur Entwicklung der Sektion Hamburg und Niederelbe des Deutschen Alpenvereins e. V., insbesondere der Umgang mit ihren jüdischen Mitgliedern. Hamburg 2015, S. 40–48; Berlin: Vgl. zusammenfassend Achrainer/Mailänder 2011, S. 247f.
  • [4] Trautwein, Theodor: Zum Anfang, in: Zeitschrift DAV, Bd. 1, 1870, S. I.
  • [5] Vgl. Zeitschrift DAV, Bd. 1 (Abt. 2), 1870, S. 48.
  • [6] Vgl. Brenner, Michael: Zwischen Revolution und rechtlicher Gleichstellung, in: Brenner, Michael/Jersch-Wenzel, Stefi/Meyer, Michael A.: Deutsch-jüdische Geschichte in der Neuzeit, Bd. II: Emanzipation und Akkulturation 1780–1871. München 1996, S. 287–325.
  • [7] Vgl. Pulzer, Peter: Die Wiederkehr des alten Hasses, in: Lowenstein, Steven M./ Mendes-Flohr, Paul/Pulzer, Peter/Richarz, Monika: Deutsch-jüdische Geschichte in der Neuzeit, Bd. III: Umstrittene Integration 1871–1918. München 1997, S. 193–248.
  • [8] Vgl. Achrainer/Mailänder 2011, S. 226f.
  • [9] Vgl. ebd., S. 218f.
  • [10] 20. Sitzung des Hauptausschusses des D. u. Ö. Alpenvereins am 8. u. 10. Oktober 1919 in Nürnberg (Kulturverein), S. 14.
  • [11] Vgl. 24. Sitzung des Hauptausschusses des D. u. Ö. Alpenvereins am 12. Mai 1921 in München (Museum), S. 11.
  • [12] Vgl. Achrainer/Mailänder 2011, S. 227f.
  • [13] Vgl. ebd., S. 228–231.
  • [14] Vgl. ebd., S. 231–241.
  • [15] Anonym, Der arische Alpenverein, in: Das Jüdische Echo, Nr. 30, 25.7.1924.
  • [16] Vgl. Achrainer/Mailänder 2011, S. 248f.; s. a. Donauland-Nachrichten, Januar-Oktober 1925; Nachrichten des Alpenvereins Donauland und des Alpenvereins Berlin, November 1925 – Dezember 1933; Berg und Ski. Zeitschrift des Alpenvereins Donauland, 1934–1938.
  • [17] Vgl. Postert/Kruse o. J., S. 12.; DAV Sektion Hamburg und Niederelbe 2015, S. 47.
  • [18] Bergmann, Georg Franz: Vom Wesen des Alpinismus und von jüdischen Bergsteigern, in: Bayerische Israelitische Gemeindezeitung, H. 6, 1.4.1928.
  • [19] So beispielsweise die Sektion Nürnberg: vgl. Niebler, Wenzeslaus: Bericht des 1. Schriftführers, in: Mitteilungen der Sektion Nürnberg 3/1934, S. 10–20, hier S. 10; Aus der Geschichte unserer Sektion, in: Mitteilungen der Sektion Nürnberg 13/1939/1940, S. 6–14, hier S. 9.
  • [20] Vgl. Nipperdey, Thomas: Deutsche Geschichte 1866–1918, Bd. 1: Arbeitswelt und Bürgergeist. München 2013, S. 185.
  • [21] Vgl. Hettling, Manfred/Hoffmann, Stefan-Ludwig: Einleitung: zur Historisierung bürgerlicher Werte, in: Hettling, Manfred/Hoffmann, Stefan-Ludwig (Hg.): Der bürgerliche Wertehimmel. Innenansichten des 19. Jahrhunderts. Göttingen 2000, S. 7–22, hier S. 9–15; Hettling, Manfred: Die persönliche Selbständigkeit. Der archimedische Punkt bürgerlicher Lebensführung, in: ebd., S. 57–78, hier S. 74–77; Kessel, Martina: ‚Der Ehrgeiz setzte mir heute wieder zu.‘ Geduld und Ungeduld im 19. Jahrhundert, in: ebd., S. 129–148, hier S. 131–133; Lammer, Eugen Guido: Jungborn. Bergfahrten und Höhengedanken eines einsamen Pfadsuchers, München 21923, S. 156; Nipperdey 2013, S. 183 u. 819; siehe auch Wagner, Max: Naturvorstellungen, in: DAV (Hg.): Darum Berge. Begleitpublikation zur neuen Dauerausstellung des Alpinen Museums. München 2024, 94-105 [genaue Seitenangabe bei Abgabe noch unklar].
  • [22] Purtscheller, Ludwig: Zur Entwicklungsgeschichte des Alpinismus und der alpinen Technik in den Oesterreichischen Alpen, in: Zeitschrift des DuOeAV 1894, S. 95–176, hier S. 176.
  • [23] Nieberl, Franz: Das Klettern im Fels, München 21911, S. 1; hier auch die weiteren als Zitate ausgewiesenen Begriffe in diesem Satz.
  • [24] Langer, Phil C.: ‚Ein langer und manchmal auch steiniger Weg‘. Der Deutsche Alpenverein im gesellschaftlichen Wandel: Kontinuitäten und Brüche nach 1945, in: DAV (Hg.): Aufwärts! Berge, Begeisterung und der Deutsche Alpenverein 1945 bis 2007. München 2007, S. 68–75, hier S. 72.
  • [25] Vgl. Günther, Dagmar: Alpine Quergänge. Kulturgeschichte des bürgerlichen Alpinismus (1870–1930). Frankfurt am Main 1998, S. 18–20; Geulen, Christian: ‚Center Parcs‘. Zur bürgerlichen Einrichtung natürlicher Räume, in: Hettling/Hoffmann 2000, S. 257–282, hier S. 260; Nipperdey 2013, S. 260, 825–829 u. 832f.; Peukert, Detlef: Die Weimarer Republik. Krisenjahre der klassischen Moderne. Frankfurt am Main 142016, S. 186–189; Schauer, Alexandra: Mensch ohne Welt. Eine Soziologie spätmoderner Vergesellschaftung. Berlin 2023, S. 554 u. 559; siehe auch Wagner 2024, 98-100 [genaue Seitenangabe bei Abgabe noch unklar].
  • [26] Nipperdey 2013, S. 812.
  • [27] Vgl. Hettling/Hoffmann 2000, S. 9–13; Hettling 2000, S. 65; Nipperdey 2013, S. 384–389, 814 u. 817f.
  • [28] Vgl. Hettling 2000, S. 65; Kessel 2000, S. 131–133; Nipperdey 2013, S. 166, 188, 814f.; Schauer 2023, S. 556f.; Wagner 2024, 98-103 [genaue Seitenangabe bei Abgabe noch unklar].
  • [29] Scheit, Gerhard: Verborgener Staat, lebendiges Geld. Zur Dramaturgie des Antisemitismus. Freiburg 1999, S. 51, auch zit. bei Schauer 2023, S. 506f.
  • [30] Schauer 2023, S. 506.
  • [31] Ebd., S. 508.
  • [32] Vgl. Nipperdey 2013, S. 814; Schauer 2023, S. 503–508.
  • [33] Diese Kontrastierung zeigt sich besonders eindrücklich in Gustav Müllers Rede auf einer Kundgebung gegen die Erschließung der Zugspitze mit Bergbahnen 1925: Gegen Bergbahnen – gegen die Zugspitzbahn, in: Mitteilungen des DuOeAV 1925, S. 104–108, hier S. 105–107.
  • [34] Vgl. Peukert 2016, S. 159–189; Schauer 2023, S. 399–406.
  • [35] Vgl. dafür bspw. Enzensperger, Ernst: Aus alpiner Jugendarbeit, in: Zeitschrift des DuOeAV 1925, S. 75–89.
  • [36] Verhandlungsschrift der 50. Hauptversammlung des D. u. Oe. Alpenvereins zu Rosenheim am 20. Juli 1924, S. 8.
  • [37] Verhandlungsschrift der 45. Hauptversammlung des DuOeAV zu Nürnberg am 10. und 11. Oktober 1919, S. 21.
  • [38] Müller, Gustav: Die Berge und ihre Bedeutung für den Wiederaufbau des deutschen Volkes, in: Zeitschrift des DuOeAV 1922, S. 1–9.
  • [39] Verhandlungsschrift der 45. Hauptversammlung des D. u. Ö. Alpenvereins zu Nürnberg am 10. und 11. Oktober 1919, S. 23.
  • [40] Vgl. bspw. die Debatte um die Einführung der sogenannten Tölzer Richtlinien 1923: Verhandlungsschrift der 49. Hauptversammlung des D. u. Ö. Alpenvereins zu Bad Tölz am 9. September 1923, S. 28–34.
  • [41] Satzung des Deutschen und Oesterr. Alpenvereins (1927), S. 2.
  • [42] Ebd.
  • [43] Bspw. Birkner, Ferdinand: Die Rassenzugehörigkeit der Alpenbevölkerung, in: Mitteilungen des DuOeAV 1925, 21f., 22; vgl. auch die Rede von Müller 1924, der diese Perspektive zu Grunde liegt: Bergbahnen – gegen die Zugspitzbahn 1925, S. 101–108.
  • [44] Ebd., S. 107.
  • [45] Schauer 2023, S. 508. Auch das ist in der Rede Müllers auf der Kundgebung 1924 herauslesbar: Bergbahnen – gegen die Zugspitzbahn 1925, S. 101–108.
  • [46] Im Alpenverein: Verhandlungsschrift der 49. Hauptversammlung des D. u. Ö. Alpenvereins zu Bad Tölz am 9. September 1923, S. 13.
  • [47] Verhandlungsschrift der außerordentlichen Hauptversammlung des D. u. Oe. Alpevereins zu München am 14. Dezember 1924, in: Mitteilungen DuOeAV 1925, S. 13–20, hier S. 13f. u. 18.
  • [48] Ebd., S. 14.
  • [49] Verhandlungsschrift der 50. Hauptversammlung des D. u. Oe. Alpenvereins zu Rosenheim am 20. Juli 1924, S. 8.
  • [50] Vgl. bspw. Verhandlungsschrift der 47. Hauptversammlung des D. u. Ö. Alpenvereins zu Augsburg am 15. August 1921, S. 6 und vor allem Verhandlungsschrift der 49. Hauptversammlung S. 13f. u. 21.
  • [51] Verhandlungsschrift der außerordentlichen Hauptversammlung des D. u. Oe. Alpenvereins zu München am 14. Dezember 1924, S. 17.
  • [52] Ebd.
  • [53] Vgl. ebd.
  • [54] Vgl. Achrainer/Mailänder 2011, S. 275; z. B. Köln: Postert/Kruse o. J., S. 14; z. B. DAV Sektion Hamburg und Niederelbe 2015, S. 50f..
  • [55] Vgl. Kluge, Friedrich: Zur Geschichte der Sektion Freiburg im Breisgau des Deutschen Alpenvereins in den Jahren 1933–1945, o. O. 2007, S. 33–36.
  • [56] Vgl. Skorka, Andreas: Dr. Otto Heß: Ein jüdischer Bergsteiger in unserer Sektion, 2012, in: https://www.dav-kassel.de/wp-content/uploads/2022/11/Dr.-Otto-Hess-Aufsatz.pdf (12.12.2023).
  • [57] Vgl. Bühler, Oskar: Oskar Kühlken ꝉ, in: Mitteilungen der Sektion Nürnberg 3/1982, S. 38; Wagner, Max: „Mit Berg-Heil und Heil Hitler“. Die Sektion Nürnberg und der Nationalsozialismus, o. O. 2019, S. 12.
  • [58] Vgl. Achrainer/Mailänder 2011, S. 292–302.
  • [59] Vgl. Kaiser, Friederike/Kleidt, Stephanie/Ritter, Stefan/Wagner, Max: Kontinuitäten. Der Deutsche Alpenverein nach 1945, in: Deutscher Alpenverein (Hg.), Die Berge und wir. 150 Jahre Deutscher Alpenverein. München u. a. 2019, S. 180–189, hier S. 187.
  • [60] Deutscher Alpenverein (D. A. V.): Satzung. Einstimmig genehmigt in der Hauptversammlung in Würzburg am 22. Oktober 1950, S. 2.
  • [61] Protokoll Verwaltungsausschuss, 25. Sitzung am 28.11.1952, S. 2f. (Archiv DAV).
  • [62] Vgl. Welsch, Walter: Geschichte der Sektion Bayerland des Deutschen Alpenvereins e. V.. Die Ära Fritz Schmitt 1945–1953. München 2008, S. 33.
  • [63] Vgl. Kaiser/Kleidt/Ritter/Wagner 2019, S. 187.
  • [64] Mitteilungen der Landesarbeitsgemeinschaft der alpinen Vereine in Bayern 1948, S. 28.
  • [65] Vgl. Kaiser/Kleidt/Ritter/Wagner 2019, S. 187–189.
  • [66] Jennewein, Alfred: Mensch und Berg. Gedanken aus der Festrede von Alfred Jennewein auf der Hauptversammlung, in: Mitteilungen DAV 1952, S. 148–151, hier S. 149.
  • [67] Ebd., S. 151.
  • [68] Vgl. Heizer, Albert: ‚Wir wollen die Idee des Alpenvereins immer reinhalten‘. Tätigkeitsbericht und Ansprache von Dr. Albert Heizer, in: Mitteilungen des DAV 1952, S. 151–153, hier S. 151f.; dort auch die folgenden Zitate in diesem Satz.
  • [69] Ebd.
  • [70] Hier und im Folgenden zur Jugend vgl. Kaiser/Kleidt/Ritter/Wagner 2019, S. 190.
  • [71] Satzung des Deutschen Alpenvereins. 1975, S. 1.
  • [72] Ebd.
  • [73] Vgl. Länger, Horst: ‚Wenn ihr uns so nehmt wie wir sind‘. Aspekte der Alpenvereinsjugend seit 1945, in: DAV 2007, S. 242–251, hier S. 242f.; Kaiser/Kleidt/Ritter/Wagner 2019, S. 190.
  • [74] Vgl. Pollack, Rainer: Gegen Intoleranz und Hass. Die Auseinandersetzung des Deutschen Alpenvereins mit dem dunkelsten Teil seiner Geschichte, in: DAV 2007, S. 62–67.
  • [75] Protokoll der 130. Sitzung des HA d. DAV v. 16.–18.3.2001 (Archiv DAV).
Im Titel verwendete Bilder:

Überschriebener Eintrag von Richard Hönigsberger in das Hüttenbuch der Hanselberghütte der Sektion Regensburg, 24. Mai 1934: Hönigsberger überlebte als "Halbjude" den Holocaust in Regensburg. Ob er Mitglied der Sektion Regensburg war, die 1934 einen Arierparagraphen in ihre Satzung einführte, ist nicht bekannt. DAV-Sektion Regensburg