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Nachgefragt: Wildnis und Artenvielfalt im Nationalpark Kalkalpen

Das Sengsen- und das Reichraminger Hintergebirge im Süden Oberösterreichs bilden seit 1997 den Nationalpark Kalkalpen (NPK). Im Schutzgebiet mit der größten unbesiedelten Waldfläche der Nordalpen kann die Natur unbeeinflusst vom Menschen wieder zur Waldwildnis werden. Die Entwicklung zu dokumentieren, Erkenntnisse darüber zu vermitteln und Besuchern erfahrbar zu machen, gehört mit zur Aufgabe der Nationalparkverwaltung. Doch was meint Wildnis eigentlich, wie entwickelt sich Natur ohne Zutun des Menschen, was hat es mit Habitaten/Lebensräumen und Artenvielfalt/Biodiversität auf sich, wie und woran arbeitet ein Nationalpark-Biologe und was ist ein Nationalpark überhaupt? DAV-Panorama-Redakteur Georg Hohenester befragte den NPK-Biologen Dr. Erich Weigand dazu. Die Fragen wurden schriftlich gestellt und beantwortet.

 

Panorama: Was ist ein Nationalpark und welche Ziele hat er?

Dr. Erich Weigand: Ein „Nationalpark“ ist ein nach internationalen Standards funktionierendes Schutzgebiet, das auf den Kategorien der IUCN, der „International Union for Conservation of Nature“, basiert. Hier gibt es Schutzgebiete der Kategorie I, das sind Wildnisgebiete, in denen hundert Prozent der Fläche geschützt sind und nur Forschung zugelassen ist. Nationalparke sind Schutzgebiete der Kategorie II, in denen der Naturschutz zwar Priorität 1 hat, aber auf bis zu 25 Prozent der Fläche klar definierte Ausnahmen zugelassen sind. Die sind in stark besiedelten Regionen wichtig, also fast im gesamten Europa. So kann man zum Beispiel eine extensiv betriebene Kulturlandschaft einbeziehen, wie in unserem NPK mit den Almen, oder einen Lawinenschutzwald pflegen, um Straßen und Siedlungen zu schützen, oder auch spezielle Arten- und Biotopschutzziele verfolgen. Ein Nationalpark muss jedoch auf mindestens 75 Prozent Fläche „Prozessschutz“ im vollen Umfang gewährleisten, das heißt salopp gesagt „Natur Natur sein lassen“. Trotzdem wird ein Nationalpark auch kompensierende Managementmaßnahmen einsetzen, nach dem Prinzip „so naturnah wie möglich“. Neben dem Priorität-1-Ziel Prozessschutz sind Nationalparke wichtige Forschungsgebiete und dienen auch zur Erholung und Bildung des Menschen – hier soll man sehen und erleben, „wie die Natur wirklich ist“. In der Wildnis wandern, sie spüren und verstehen zu können ist ein wichtiges Nationalpark-Ziel. Bergsteigerer sollen gut gepflegte Steige vorfinden und andere Infrastruktur, jedoch keine Lifte und keine Hotelbauten. Und sie werden über ein Leitsystem gelenkt, um sensible Natur schützen und die Beunruhigung von Wildruhegebieten verhindern zu können.

 

P: Sie sprechen viel von Wildnis. Was heißt Wildnis denn?

E.W: Eine gute Frage, denn tatsächlich hat jeder sein eigenes Wildnis-Bild im Kopf und die Vorstellungen klaffen weit auseinander!

  • Personen in der Land-, Jagd- und Forstwirtschaft empfinden Wildnis oft als „nicht kultivierte Fläche“, die schleunigst aufgeräumt gehört. Ein Grundbesitzer, der seinen Wald verwildern lässt, gilt als faul oder schlampig und könnte auch andere in Gefahr bringen, z.B. durch Borkenkäfer, Feuer und Lawinen. Für diesen vorrangig wertend denken Personenkreis ist Wildnis klar negativ!
  • Ältere Einheimische sind oft betroffen und reagieren abweisend: Sie haben einmal mühevoll Straßen und Wege erschlossen, Almen errichtet und den Boden für Kulturforste geebnet und so der Wildnis mit viel Einsatz Kulturlandschaft abgetrotzt. Nun lässt die Nationalparkverwaltung die Straßen verfallen und das Holz der Forste verfaulen – da herrscht viel Unverständnis. Diese Menschen fühlen sich in der von ihnen geschaffenen Heimat nun zunehmend fremd, ein Gefühl des Heimatverlustes macht sich bei ihnen breit.
  • Stadtbewohner mit naturfernem Charakter verbinden mit Wildnis emotional ein Unbehagen – Wildnis ist unbekannt, schwer einzuschätzen und wohl auch gefährlich.
  • Der große Kreis der Stadtbewohner mit Natursehnsucht wiederum empfindet Wildnis in der Natur schlichtweg faszinierend. Bergsteiger sind ebenfalls grundsätzlich sehr positiv zum Erhalt der Natur eingestellt, wenngleich nicht Wildnis und Naturschutz, sondern die beeindruckende Landschaft Priorität haben mag. So hat sich auch besonders der Alpenverein in den 1980er und 1990er Jahren massiv für einen Nationalpark Kalkalpen engagiert.
  • Auch Biologen und Naturchützer haben in Anbetracht von Wildnis ein schnelles Bild im Kopf und meinen „ein Gebiet im naturgemäßen Zustand“, also bislang vom Menschen unberührte Ur-Landschaften, Ur-Lebensräume wie etwa Urwald.

Wildnis bedeutet nicht automatisch völlig unberührte Urlandschaft, wenngleich dies die optimale Ausgangslage wäre! Nach den Definitionen der European Wilderness Group ist es besonders wichtig, dass es in erklärten Wildnisgebieten künftig möglichst keine Eingriffe seitens des Menschen mehr gibt. Was man dort darf und nicht darf, wird genau definiert, so dürfen z.B. keine befestigten Wanderwege errichtet und Wege nicht deutlich markiert werden (kleine Steinhaufen sind erlaubt), jegliche Motorisierung ist untersagt etc. Der Prozessschutz ist in dieser Definition jedoch genauso zentral wie im IUCN-Wildnis-Konzept, und zum Erhalt dieses Schutzes sind ebenfalls Korrekturmaßnahmen erlaubt. Wirklich relevante Unterschiede zwischen Wildnisgebieten und den Kernzonen von Nationalparks offenbaren sich für mich als Biologe nicht, vielmehr bestärkt mich die Annahme, dass Wildnis als Marke fungiert, und warum sollte hier der Nationalpark Kalkalpen ein Einzelfall sein?

 

P: In der „Waldwildnis“ gibt es Reste von Urwald bzw. Urwald-Verdachtsflächen. Was hat man sich darunter vorzustellen?

E.W.: Nachweislich gesicherte Urwälder sind heute im gesamten Alpenraum so gut wie nicht mehr vorhanden. Der Mensch hat davolle Arbeit geleistet! Das Wildnisgebiet Dürrenstein in Niederösterreich mit dem rund 300 Hektar großen Rothwald ist der letzte halbwegs große Urwaldbestand, dann folgt bereits mit deutlichem Abstand ein rund 30 Hektar großer Bestand, der ebenfalls in Niederösterreich liegt. Im NPK sind sechs bis acht Flächen mit einem Ausmaß von insgesamt rund 120 Hektar als Urwald-Verdachtsflächen ausgewiesen. Man vermutet hier Urwald, einen absolut sicheren Nachweis gibt es nicht. Es fehlen Aufzeichnungen über die vielen Jahrhunderte menschlicher Einflussnahme, und über etliche Jahrhunderte könnte sich wieder ein sehr naturnaher Wald entwickeln haben, der dem Bild eines Urwaldes in hohem Maße entsprechen könnte. In den fast 300 Jahre alten Aufzeichnungen des Franziskanischen Katasters ist u.a. zu entnehmen, dass im Gebiet Zwielauf auf der Nordseite des Sengsengebirges der Wald nicht gefällt werden durfte, weil man für die Herrschaft in Wien besonders dicke Einzelstämme vorrätig halten sollte. Ein weiterer Aspekt zur Existenz von Urwaldverdachtsflächen ist auch die Jagd. Für die Förster war und ist das Holz das Brot und die Jagd die Leidenschaft, weshalb die Förster darauf achteten, die Einstände des Rotwildes nicht zu beeinträchtigen; sie gaben dieses Wissen über viele Generationen weiter. Ich kenne mehrere dieser magischen Plätze mit mächtigen Bäumen, deren überaus starke Borke vom hohen Alter zeugt. Vor Wetter und Hitze schützende Einstände für das Weidevieh haben auch die Almbauern gehegt; so erklärt sich eine Urwaldverdachtsfläche in unmittelbaren Nähe der Ebenforstalm im Nationalpark. Dort wurde unlängst eine Altersbestimmung von Buchen vorgenommen, und dabei konnte bei einer ein Alter von 523 Jahren festgestellt werden - es wäre dies die älteste im Alpenraum dokumentierte noch lebende Rotbuche. Weitere wichtige Aspekte sind besonders steile Lagen und sehr schwer zugängliche Bestände sowie hohe Steinschlag- und Lawinen-Aktivitäten, die eine Wiederaufforstung in stark betroffenen Gebieten schwierig oder gar unmöglich gemacht hätten, weshalb man den Wald gleich gar nicht nutzte. So gibt es bis heute in tiefen Lagen des NPK ausgesprochen naturnahe Waldflächen, wertvolle Kleinode, die über Jahrhunderte Rückzugsinseln einer fast verschwundenen Artengemeinschaft waren. Mit der Rückkehr der Habitate finden diese Arten im heutigen Nationalpark wieder zunehmend Lebensmöglichkeiten, einst besiedelte Gebiete werden wieder besiedelt, wobei ihre Anzahl deutlich ansteigt.

Weitere Indizien für die Existenz von Urwäldern sind hoch spezialisierte Urwald-Reliktarten, die auf Urwälder oder zumindest auf äußerst naturnahe Waldhabitate angewiesen sind. Entsprechend findet man diese Reliktarten in Europa nur noch in den letzten Naturwaldinseln. Solche Habitate, z.B. das Mulm-Habitat in Asthöhlen von noch stehenden Bäumen, gibt es nur bei sehr alten oder schon abgestorbenen Bäumen. Innerhalb der Organismen haben die Käfer und Pilze ihre Spezialisierung an totes Holz auf die Spitze getrieben; diese beiden Organismengruppen bilden zudem eine hoch komplexe partnerschaftliche (symbiotische) Lebensgemeinschaft. Aber auch Vögel und Flechten haben sich an den Lebensraum Wald in überdurchschnittlich hohem Maße angepasst. Sechs Spechtarten gibt es im Nationalpark - der anspruchsvolle Weißrückenspecht gilt als die „Urwald-Spechtart“, seine Besiedlungsdichte im Nationalpark zählt zu den Spitzenwerten im gesamten Alpenraum.

Für mich als Biologe stellt sich die Frage: „Haben die Urwald-Reliktarten die mehr-jahrhundertlange intensive Waldwirtschaft überlebt?“ Sollte eine staatliche Anzahl dieser Arten nachweisbar sein, dann wäre das ein signifikanter Qualitätsbeweis für sehr naturnahe Wälder und würde letztendlich auch den Wert des Nationalpark Kalkalpen als Schutzgebiet von internationaler Bedeutung deutlich heben. Für den Nachweis dieser Arten bedarf es allerdings hohes Fachwissen, und er ist sehr zeitaufwendig. So warteten wir mit Spannung auf die Ergebnisse der Pilotstudie zur Erfassung der Urwald-Reliktkäferarten, und mit 13 nachgewiesenen Arten wurden unsere Erwartungen deutlich übertroffen. Aktuell weitere Ergebnisse belegen, dass es von diesen ganz besonderen Käfer-Raritäten im Park deutlich über 20 geben dürfte. Damit wäre der Beweis erbracht, dass der überwiegende Teil dieser hoch anspruchsvollen Urwald-Reliktkäferfauna das mehrere Jahrhunderte dauernde Zeitalter der Forstwirtschaft überlebt hat!

 

P: Wie lange wird es dauern, bis in der Kernzone des Nationalpark Kalkalpen menschliche Spuren verschwunden sind?

E.W.: Bei den optisch sichtbaren Spuren gibt es eine große Bandbreite. So reicht ein sehr großes Hochwasser aus, um z.B. die bachnahe Forststraße völlig wegzuschwemmen und nach diesem Ereignis ein Bild von hoher Natürlichkeit entstehen zu lassen. In Höhlen dagegen kann eine Markierung an einem Fels oder ein Fußabdruck im Sand über 100 Jahre und mehr bestehen bleiben. Die vorherrschende Dynamik, die Geomorphologie und die Höhenzonierung spielen in dieser Frage eine zentrale Rolle. Im NPK vollzieht sich seit der Eröffnung des Schutzgebietes eine dynamische Umwandlung. Wenn Forststraßen-Durchlässe nicht mehr offen gehalten werden, reißt das ablaufende Wasser die Straßen mit, umso steiler die Lage, umso mehr. Gleichaltrige Fichtenforstbestände sind besonders instabil: Windwurf, Föhnstürme, Schneedruck und Lawinen reißen die Bestände auf, dann verläuft der weitere Umbau in Richtung naturnäherem Zustand meistens schnell. Als biologischer Regulator tritt der Borkenkäfer auf und bringt ganze Fichtenbestände zum Absterben. Allein die letzte Borkenkäfer-Massenentwicklung von 2008 bis 2012 hat die meisten größeren Fichtenforste betroffen und um etwa 20 Prozent reduziert. Mit riesigen Schritten hat dieses Fichtensterben den NPK natürlicher gemacht und ihm einen großen Hauch von Wildnis zurück gegeben. Außerdem haben das gewaltige Hochwasser 2002, der Waldbrand im August 2003 und das außergewöhnlich große Lawinenereignis im Februar 2009 mit rund 100 Lawinenabgängen zu einer tollen Wildnis-Ausprägung geführt. Für den Wanderer ist ein Besuch im NPK oft auch deshalb sehr spannend, weil die Rückkehr der Wildnis gerade jetzt allgegenwärtig ist. Da schlägt man sich eine Stunde lang durch einen Graben und steht dann plötzlich vor einer völlig verwachsenen Brücke. Da wird einem bewusst, dass es vor nicht allzu langer Zeit hier noch eine Straße gegeben haben muss, denn Autos fuhren hier erst ab etwa dem Jahr 1950.

Als Biologe und Mitarbeiter im Schutzgebiet interessieren mich im Besonderen die Spuren der Evolution. Die nie verschwinden und eine langzeitige Entwicklung dokumentieren. Dem Menschen ist das nicht bewusst, dabei ist er selbst Faktum einer solchen Entwicklung. Bewusst sind uns Kreisläufe, die Entwicklung vom Ei über Jugend und Fortpflanzung wieder zum Ei. Nur ist es kein geschlossener Kreislauf, sondern eine fortlaufende Spirale. Es gibt eine Veränderung, zumeist außerordentlich minimal und nicht sichtbar, manchmal auch größer, immer aber eine Entwicklung mit Veränderung! An großen Flächen des heutigen NPK wurde eine Entwicklung unterbrochen, indem der naturgemäße Laubmischwald entfernt und über mehrere Jahrhunderte durch Fichtenforste ersetzt wurde. Wenn jetzt wieder die Natur am Zug ist, dann hat das eine eigenständige Entwicklung zur Folge. Die Rahmenbedingungen sind nicht mehr dieselben wie zuvor.

Betrachtet man evolutionäre Wald-Zeiträume, wird es spektakulär: Ein Waldzyklus dauert an die 1000 Jahre - die Bäume werden je nach Art etwa zwischen 350 und 800 Jahre alt, dann folgen rund 300 Jahre Zerfallsphase mit Bodenbildung. Die letzte Eiszeit ist erst 12.000 Jahre her, es gab also erst maximal zwölf Waldzyklus-Phasen. Bedenkt man, dass die für die Nördlichen Kalkalpen so wichtige Rotbuche erst vor rund 5000 bis 6000 Jahren wieder in den Alpenraum eingewandert ist, dann hätte dieses Waldökosystem überhaupt erst fünf bis sechs Phasen evolutionärer Entwicklungszyklen hinter sich. Da ist es höchst bedenklich, wenn von der ursprünglichen Flächenbedeckung der Rotbuche in Europa nur mehr 15 Prozent übrig sind! Reine Buchen-Urwälder gibt es eigentlich keine mehr, da sind drei bescheiden große Urwaldverdachtsflächen im NPK möglicherweise bereits eine Sensation.

 

 

P: Ein weiteres Leitziel ist die Artenvielfalt. Was bedeuten z.B. über 1500 Schmetterlingsarten im Nationalpark Kalkalpen?

E.W.: In der Wildnis-Zielsetzung ist der Aspekt Artenvielfalt sekundär, primär ist eine naturgemäße Artenzusammensetzung (Biozönosen) mit einer naturgemäßen Populationsgröße, einem naturgemäßen Verhalten und einer ebensolchen Entwicklung der Arten und Lebensgemeinschaften. Ein Nationalpark wird aber sehr wohl auch an seiner Artenvielfalt gemessen. Eine Zahl von 1500 Schmetterlingsarten ist beeindruckend, zumal wenn man weiß, dass in keinem Gebiet in Österreich bislang mehr Arten nachgewiesen wurden oder die gut untersuchte große Mittelmeerinsel Sardinien auch nicht mehr Arten beherbergt. Wenn man zudem berücksichtigt, dass der NPK ein von Wald dominiertes Gebiet ist und Schmetterlinge eigentlich Offenlandlebensräume benötigen, dann wird es höchst spannend! Mir wurde das bewusst, als ich mit einem erfahrenen Vegetationsökologen in einer Urwaldverdachtsfläche unterwegs war und er angesichts der Artenzusammensetzung meinte „Der Wald ist die Wiege der Wiesen!" Im Gegensatz zu einförmigen, dunklen Fichtenforsten hat ein naturnaher Wald immer wieder kleine Freiflächen, viel Totholz, junge und alte Bäume, und immer wieder Stellen, wo Sonne auf den Boden fällt - und damit auch Blumen gedeihen. Ihnen folgt eine hohe Zahl an Nektar-suchenden Schmetterlingen. Solche kleinen Sonneninseln wachsen auch wieder zu, doch in unmittelbarer Nähe entstehen neue. Und gleich daneben gibt es immerwährende Sonneninseln, Freiflächen in steilen Hanglagen, wo der Schnee das Aufkommen von Bäumen und Sträuchern nicht ermöglicht, oder stark mit Fels durchsetzte Flächen. Eine derart vielschichtige Habitat-Situation garantiert eine hohe Artenvielfalt! Wenn noch dynamische Aspekte hinzukommen, dann erreicht sie ihre Spitze, besonders für seltene Arten. Die Hot Spots der Artenvielfalt liegen in den Lawinenstrichen, die sonnseitig exponiert sind. Das Paradoxe an den Schmetterlingen scheint, dass nur eine bescheidene Anzahl an Arten eng an typische Waldlebensräume gebunden ist, doch eine überaus hohe Zahl gerade natürliche Waldbestände, die lückig-offen und zugleich strukturreich und schützend sind, bevorzugt nutzen und viele von ihnen hier wahrscheinlich auch ihren primären Lebensraum haben. Nachdem es solche naturnahe Wälder in Europa nicht mehr großflächig gibt, könnte die Erforschung dieser Hypothese in Mitteleuropa heute auch nicht mehr möglich sein.

Die wahre Artenvielfalt in einem vom Wald geprägten Nationalpark können wir nur vage abschätzen, nachdem mindestens eine ganze Waldzyklusphase betrachtet werden muss. Ein besonderes Beispiel sind die beiden Waldbrandflächen im NPK: Es wären mehrere hundert Jahre anzunehmen, damit dort überhaupt wieder Bäume hoch kommen (Phase der Bodenbildung). Dann folgt der Waldzyklus von etwa weiteren 1000 Jahren. Ein solcher Zeitraum von deutlich über 1000 Jahren ist für uns vergleichsweise kurzlebige Menschen schwer zu verstehen und vermutlich noch schwerer zu erforschen! Während dieser Entwicklung verändern sich Habitate, neue entstehen, einige verschwinden. Mit den Habitaten folgen die Arten, die ebenfalls kommen und wieder weichen. In wenig veränderlichen Waldbeständen mit geringer Dynamik bleibt die Artenvielfalt hingegen vergleichsweise konstant, und es treten vor allem weit verbreitete Allerweltsarten auf. Die Artenvielfalt in der kargen Brandfläche lässt sich trotz vieljähriger Untersuchung noch nicht annähernd abschätzen, sie ist aber sicher um ein Vielfaches höher als in den wenig dynamischen Waldflächen. Schon zehn Jahre nach dem Waldbrand konnten im Vergleich zur ungestörten Referenzfläche fast doppelt so viele Arten nachgewiesen werden, und der Vergleich zur 60-jährigen Waldbrandfläche zeigt, dass die Artenzusammensetzung der neuen Brandfläche mit der alten fast keine Gemeinsamkeiten hat. Demnach wird sich im Laufe der Jahre, Jahrzehnte, Jahrhunderte noch viel verändern!

Um auf die 1500 nachgewiesenen Schmetterlingsarten zurück zu kommen: Als Biologe würde ich das Gebiet des Nationalpark Kalkalpen im Vergleich zu anderen Gebieten der Alpen nicht speziell als Ursache dieser hohen Artenvielfalt ansehen, doch eines ist sicher: Hier fliegen die Schmetterlinge noch, und dies deshalb, weil sie hier noch geeignete Lebensräume vorfinden! Wer sich mehr in die Schmetterlingsfauna des Nationalpark Kalkalpen vertiefen will, den verweise ich auf das Buch „Schmetterlinge im Nationalpark Kalkalpen - Vielfalt durch Wildnis“, das in wenigen Wochen erscheinen wird und von einem renommierten Schmetterlingsforscher und mehrfachen Buchautor verfasst wurde. Mit weit über 500 Fotos wird ein überaus enger Bezug der Schmetterlinge mit den typischen Lebensräumen der Nördlichen Kalkalpen hergestellt, und das fachlich wie besonders unterhaltsam verfasste 250 Seiten starke Buch sollte gerade den Naturinteressierten begeistern und ein beliebter Begleiter im Nationalpark Kalkalpen werden.

 

P: Welchen Nutzen haben wir Menschen von der Biodiversität?

E.W.: Es gibt einschlägige Untersuchungen zum ökonomischen Wert der Artenvielfalt und von naturnahen Lebensräumen – Stichwort „kostenlose Ökosystemleistungen der Natur“. Wenn wir die ethische Frage „mit welchen Recht rotten wir Arten massenhaft aus?“ außer Acht lassen, ist die biologische Vielfalt eine wesentliche Basis für das Überleben des Menschen – denken wir an Nahrungsquellen, Krankheiten/Medizin, Klima, Beispiel sind der Penecillin-Pilz oder Getreidesorten wie Reis. Bildhaft kann man das Auslöschen der Arten mit einem Puzzle vergleichen, das vom Menschen und der biologischen Vielfalt gemeinsam gebildet wird. Mit jeder verschwundenen Art fehlt ein Puzzleteil, und wir wissen nicht, ob und wie bedeutend es letztendlich war. Ein anderer bildhafter Vergleich ist das ökologische Netz, das Arten verbindet: je weniger Arten leben, desto weniger kompakt ist dieses ökologische Netz! Arten haben aber unterschiedliche ökologische Bedeutung, und hier ist Vieles noch unbekannt. So hat etwa der Wolf als Top-Räuber enorme Auswirkungen auf die Nahrungskette. Seit seiner Ausrottung im Ostalpenraum müssen wir seine ökologische Funktion kompensieren, im Wirtschaftsraum um den Verbiss an den Forsten klein zu halten, im NPK um wenigstens eine halbwegs naturnahe Situation zu erreichen. Neue Forschungsergebnisse zeigen, dass diese Kompensation durch den Menschen von dürftiger Qualität ist. Zudem ist die Schalenwildregulierung teuer. Neben etlichen anderen einst ausgerotteten Arten kommt heute auch der Wolf sukzessive in den Alpenraum zurück. Die meisten dieser rückkehrenden Arten haben aber zu wenig Platz, ihr angestammter Lebensraum ist mittlerweile großteils vom Menschen eingenommen und umfunktioniert, entsprechend sind Probleme vorprogrammiert. Wir können mit Fischotter, Braunbär, Luchs und Wolf nicht mehr umgehen. Das Wissen ging verloren, die praktische Erfahrung fehlt. Der Mensch muss wieder lernen, mit diesen Tieren zu leben und ihnen auch einen entsprechenden Lebensraum bieten. Letztendlich kommt uns die einstige Ausrottung teuer zu stehen!

 

P: Worin liegt das größte Potenzial des Nationalparks Kalkalpen?

E.W.: Die größte Bedeutung von Wildnisgebieten sehe ich in der Sicherstellung einer langfristigen genetischen Entwicklung unter naturgemäßen Rahmenbedingungen. Evolution gibt es überall wo es Leben gibt, im Stadtgarten, im Park, im Gewächshaus - aber hier verläuft sie nicht unter naturgemäßen Rahmenbedingungen. Die Arten und Ökosysteme sind keine statischen, gleichbleibenden Elemente, sie sind auf Veränderung programmiert. Die Möglichkeit, sich an verändernde Umweltbedingungen anzupassen, beruht auf der Genetik, wobei der zeitliche Aspekt ein außerordentlich wichtiger Faktor ist, es bedarf den Blick auf Jahrtausende.

Zum Beispiel hat sich der hoch entwickelte Wanderfalke in mehreren Großstädten, so in Köln und neuerdings auch in London, erfolgreich angesiedelt. Das ist nicht sehr verwunderlich, denn seine hohe Spezialisierung erlaubt ihm ein Leben in den Städten. Die geschützten Brutnischen in den hohen Felswänden findet er in den Wänden der Hochhäuser, als Nahrungsspezialist, der andere Vögel schlägt, holt er sich leicht die vielen Stadt-Tauben, wiederum kommen viele seiner Feinde in der Stadt kaum oder gar nicht vor. Auf sehr lange Sicht betrachtet und vorausgesetzt, es gäbe keinen genetischen Austausch mehr zwischen der Wildnis- und der Stadtform, würden daraus zwei eigene Arten hervorgehen, die sich untereinander nicht mehr fortpflanzen könnten.

Nur Wildnisgebiete können diese naturgemäße evolutionäre Entwicklung gewährleisten und die genetischen Ressourcen, das Generbe unserer Erde dauerhaft sichern. Hier kommt den Schutzgebietsverwaltern von Wildnisgebieten eine sehr hohe Verantwortung zu. Die Aufgabe ist insofern schwierig, weil eine Entwicklung und nicht das Erreichen einer fixen Zahl das „Unternehmensziel“ ist. Wie das geschützte Wildnisgebiet in Jahrhunderten oder Jahrtausenden aussieht, lässt sich zwar naturwissenschaftlich abschätzen, jedoch nur solange nicht gravierende Umweltveränderungen eintreten. Letztendlich ist das Ergebnis in der Zukunft als offen anzusehen. Wir dürfen nicht vom klassischen Naturschutz ausgehen und den Erhalt der aktuell im Schutzgebiet vorkommenden Arten und Lebensräume verfolgen. Wir müssen zulassen, dass die Natur selbst die Arten in eine naturgemäße Form weiter entwickelt, ganz nach ihrem Regelwerk, und dass der Mensch bei katastrophalen dynamischen Naturereignissen nicht eingreift, weil gerade diese dynamischen Prozesse die besonderen Motoren der Wildnis und Artbildung sind. Ein solches Schutzgebietsmanagement dürfte auch am besten unsere heimische Artenvielfalt sichern, wie viele Fachleute betonen.

 

Bezogen auf den Nationalpark Kalkalpen selbst liegt sein größtes Potential in seiner besonderen Habitat-Aausstattung. Mit 81% Waldbedeckung und einem Anteil von über 90% an der montanen Region hebt sich dieser Nationalpark von den anderen zwölf des Alpenraumes mit gesamt weniger als 15% deutlich ab. Die Nationalparke der Alpen schützen also vor allem Flächen oberhalb der Waldgrenze, wo es auch deutlich weniger Zielkonflikte mit wirtschaftlichen Interessen gibt. Der Nationalpark Kalkalpen repräsentiert wie kein zweiter Alpennationalpark die vielen unterschiedlichen Waldbiotoptypen von den Tallagen bis zur Waldgrenze und in die alpine Region. Durch dieses Alleinstellungsmerkmal trägt der Nationalpark Kalkalpen eine besondere Verantwortung, erhält aber auch ein erhöhtes Potential an Chancen, so unter anderem mit der Schlüsselart Bachforelle oder mit der Baumart Esche.

In den Gebirgsbächen des NPK hat die donaustämmige Bachforelle eines ihrer letzten Rückzugsgebiete im Alpenraum. Fischereifähiges Besatzmaterial für Bäche gibt es meist nur noch aus Bachforellenstämmen mit atlantischer Abstammung. Diese hochgezüchteten Fische fühlen sich in den Bächen aber zunehmend weniger wohl, lassen sich verstärkt nach dem Besatz ins Gewässer abdriften oder verenden überhaupt - letztendlich eine unerfreuliche und kostenintensive Situation für den Fischer. Die urstämmigen Bachforellen dagegen sind an die Gewässer bestens angepasst und gewinnen so als künftiges Zuchtmaterial für die Fischereiwirtschaft zunehmend an Bedeutung. Es ist wohl nur eine Frage der Zeit, bis Nationalparke auch zu solchen Fragen als relevante Wirtschaftspartner angesehen und kontaktiert werden.

Die Esche als Baumart ist derzeit in Mitteleuropa von einem Krankheitsträger massiv betroffen, und die Bäume sterben massenhaft ab. Ursache ist ein Pilz, der zwar immer schon an der Esche war, der sich jedoch genetisch etwas verändert hat und nun die Hauptversorgungsstränge der Esche nachhaltig beeinträchtigt. Der Leiter der Forstschule Gmunden meinte bei einer großen Fachtagung: „Wir müssen der Esche Zeit geben, damit sie sich wieder mit diesem Pilz arrangieren kann!“ Also der Aufruf, Eschen möglichst im Wald zu lassen und nicht zu ernten. Nur ist die Esche ein wertvolles Tischlerholz und zudem ein begehrtes Brennholz, dass kein wirtschaftlich Denkender im Wald stehen lässt. Ein Nationalpark kann dies aber tun und sollte diese wichtige Rolle auch übernehmen.

Mit dem genetischen Aspekt verknüpft ist auch die Aufgabe, Schutzgebiete zu verbinden, um den natürlichen genetischen Austausch der Arten zu gewährleisten. Verbindende Natur-Korridore ergeben sich schon aus dem Umstand, dass nahezu alle Schutzgebiete in Mitteleuropa zu klein sind - und auch aufgrund der globalen Temperaturerwärmung, die eine massive Wandertätigkeit der Arten auslösen wird. So wird sich bei einer prognostizierten Erwärmung von drei Grad Celsius langfristig die Waldgrenze um knapp 600 Höhenmeter nach oben verlagern. Im NPK verfolgen wir den Schutzgebietsverbund mit hohem Engagement. Die Ausgangslage ist sehr günstig, denn einerseits liegt der Nationalpark Gesäuse nur acht Kilometer Luftlinie entfernt, und auch der Rothwald im Wildnisgebiet Dürrenstein befindet sich nur einige Kilometer weiter. Auch gibt es zwischen diesen drei Schutzgebieten noch viel Naturraum mit wenig menschlicher Besiedlung, sehr wohl jedoch mit großen wirtschaftlichen Interessen.

Hoch bedeutend sind Wildnisgebiete auch für die Forschung, weil sich nur hier die Natur unter naturgemäßen Rahmenbedingungen erforschen lässt. Nur hier können z.B. naturgemäße Leitbilder für einzelne Lebensraumtypen definiert werden. Diese Natur-Leitbilder benötigen Ökologen und Naturschutzgutachter für ihre Bewertungen bei naturschutzfachlichen Gutachten. Beispiel: Wie groß ist ein Dreizehenspecht-Revier in Wäldern der Nördlichen Kalkalpen unter naturgemäßen Gegebenheiten und was sind die Schlüsselfaktoren dieser Art? Dies wäre das naturgemäße Leitbild, der „SOLL-Wert", auf dessen Basis man die natürliche Abweichung festlegen kann, den “IST-Wert".

 

P: Was ist aus biologischer Sicht das Besondere im Sengsengebirge und im Reichraminger Hintergebirge?

E.W.: Das Sengsengebirge ist ein typischer aus Wettersteinkalk geformter schroffer Karststock. Oberflächengewässer sind rar, nur in Talnähe treten große Quellen zu tage. Bergsteiger sind gut beraten, ihre Trinkflasche im Rucksack gefüllt zu haben. Nach einem langen Aufstieg durch schattigen Wald kündigen Latschen die alpine Region an, letztlich erreicht man das alpine Plateau mit den beeindruckend großen Dolinen, blütenreichen Grasmatten und dem markanten Steilabfall der mächtigen Nordwand. Die Waldregion hat mit der alpinen Region biologisch sehr wenig gemein. In der zum Wald vergleichsweise strukturarmen alpinen Region geht die Artenvielfalt um ein Mehrfaches zurück, jedoch findet man hier und in den Karstquellen die absolut höchste Zahl an ganz besonderen Arten. Es sind vor allem Organismen, die nach den letzten Eiszeiten in höhere Lagen gewandert sind und sich infolge der langen Isolierung zu einer eigenen Art entwickelt haben.

Versuchsweise habe ich vor einigen Jahren mal zwei Bodenfallen zur Erfassung der bodenmobilen Fauna auch inmitten eines ausgedehnten steinigen Blockwurfes aufgestellt, ganz ohne Vegetation und neun Monate des Jahres unter Schnee. „Wird kaum was drinnen sein“, war meine Vermutung, doch völlig getäuscht. Die alpine Region ist mit Ausnahme der dicht wuchernden Latschen überall außerordentlich individuenreich besiedelt, und die Tiere sind vorwiegend nachtaktiv. Besonders auffällig und zahlreich sind Laufkäfer, Gehäuseschnecken, Spinnentiere und die massig vorkommenden Springschwänze, die den Laufkäfern als Nahrung dienen. Die Laufkäfer und Spinnen wiederum müssen sich vor den allgegenwärtigen Alpenspitz- und Schneemäusen in Acht nehmen und diese wiederum vor Vögeln wie dem Turmfalken.

Im Vergleich zum Sengsengebirge ist das Waldmeer im Reichraminger Hintergebirge geologisch höchst divers, wasserreich mit vielen Quellen und Bächen, durchzogen von Schluchten und Gräben. Hier kann man leicht in die Waldwildnis eintauchen, sich aber auch schnell verirren. Wer das Gebiet nicht kennt, dem sei geraten, sich an die markierten Steige und Wege zu halten, denn abseits stößt man rasch immer wieder an Steilhänge und tiefe Schluchten, sodass man bald die Orientierung verliert. Wer das Gebiet kennt oder einen geländekundigen Nationalpark-Führer (Ranger) bei sich hat, der kann außerordentlich erlebnisreich durch die Wildnis wandern. Unmarkiert führen alte Holzknappen- und Jäger-Steige durch das schluchtige Gebiet, schmale Felsbänder überwinden gewaltige Felswände, dann folgt wieder ein gemütlich zu erwandernder naturnaher Wald, und zwischendurch kann man an einem der glasklaren Bäche entspannt die Füße kühlen. Wanderer und Erholungssuchende werden die stillen Pfade im Hintergebirge sehr zu schätzen wissen. Es geht nicht um Höhenmeter oder um Längenkilometer, man geht mit der Natur und ist eins mit der Wildnis, die einem gar nicht wild erscheint und immer vertrauter wird. Immer wieder steigt man über gefallene Bäume und hat laufend ein Auge auf den Wegverlauf. Letztendlich wird man durch die Ruhe der Abgeschiedenheit und die vielen Pflanzen und Tiere überaus belohnt. Auf Gämsen und Hirsche trifft man laufend, die zeigen heute nur mehr wenig Scheu und sind wieder vorwiegend am Tag aktiv, da in großen Gebieten des NPK seit vielen Jahren nicht mehr gejagt wird.

 

P: Wie ist man als Biologe in der Wildnis unterwegs?

E.W.: Als NP-Mitarbeiter kann ich dienstlich ein Auto nutzen, wenngleich seit der Eröffnung des Nationalparks 1997 viele Straßen aufgelassen wurden und die Anfahrt oft schon bald endet. Das erspart Anmarschweg, und es bleibt mehr Zeit für die Tagesarbeit wie Bestandserfassungen, die Wartung von Fallen oder für den Lokalaugenschein ausgesuchter Projekte oder gemeldeter Problemfälle. Nach getaner Arbeit nutze ich die Zeit für zoologische Erhebungen, wobei eine gute Stirnlampe besonders wichtig ist. Den Sonnenuntergang verbringt man als Zoologe immer wieder im Nationalpark, denn nachts werden 90 Prozent der Tiere aktiv, und es ist immer wieder erstaunlich, wie viele und unterschiedliche Tiere man sehen kann.

Gewisse Vorsichtsmaßnahmen sind zu empfehlen, Angst ist aber selbst in der dunklen Nacht unbegründet. Mein größter „Feind“ ist immer der schwere Rucksack auf den Schultern - neben der Wanderausrüstung kommen Proben, Fixierflüssigkeit, diverse Geräte, Protokollheft und Kartenmaterial, Fernglas, Kameraausrüstung etc. hinzu. Da man arbeitsbedingt überwiegend immer die gleichen Plätze aufsucht und viele davon erforscht, erhält man über die Jahre außergewöhnliche Einblicke in Naturprozesse und eine besondere Vertrautheit für bestimmte Plätze. An einer Stelle, wo man mal einmal einen Luchs oder einen Steinadler gesehen hat, da geht man beim nächsten Mal nicht gedankenlos vorbei. Man fühlt sich daheim in der Wildnis und vertraut mit den Wildtieren, deren Lebensraum und Verhalten man stets respektiert - selbst ist man nur Gast.

Wenn ich den Nationalpark privat besuche, schätze ich als begeisterter Schitourengeher und Wildnis-Beobachter die ganz besondere Atmosphäre eines lebenden Waldes und das nahezu völlige Fehlen von menschlichem Lärm. Da kann man leicht Kraft schöpfen, sich bestens erholen, und dabei erhält man auch noch eine hohe Aufmerksamkeit gegenüber der Natur. In Fichtenforsten empfinde ich hingegen nur den Weg, um höher auf die Berge zu kommen oder um mich körperlich zu betätigen. Da stecke ich mir schon mal den Walkman in die Ohren, was ich in der Waldwildnis nie machen würde. Seit mir in der Natur die Wildnis so sehr Heimat ist, habe ich als passionierter Bergsteiger neben der Freude am Erreichen von Gipfelkreuzen auch diese Form des Wanderns gefunden.

 

 

Dr. Erich Weigand studierte Biologie mit Schwerpunkt Zoologie und promovierte als Gewässerökologe. Nach sechsjähriger Tätigkeit an der Universität Wien und am österreichischen Umweltbundesamt ist er seit 2000 in der Verwaltung des Nationalpark Kalkalpen tätig.