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Vom Isartal an den Gardasee

Der Bergsteiger Wolfgang (73) stand auf vielen Drei- und Viertausendern, sein Begleiter Rolf (68) kennt die Alpen als Gleitschirmpilot mehr aus der Vogelperspektive. Gesehen und erlebt haben die beiden viel und beweisen müssen sie sich heute nichts mehr. Radsportler? Nein, so würden sie sich nicht bezeichnen! Der Vorschlag einer MTB-Transalp erzeugt allerdings ein Blitzen in ihren Augen. Schnell wird aus der Vision ein sehr konkreter Plan: eine Alpenüberquerung mit einem speziellen Pedelec, das den Fahrer nur bei Bedarf mit einem Elektromotor unterstützt. Eine Route, geprägt von Radwegen im Tal, ist für beide keine Option. Hoch hinaus soll es gehen, ohne  Mensch und Material zu überfordern. Schnell wird der Wunsch formuliert, doch ein „Stelldichein mit alten Bekannten“ wie Ortler, Königspitze,  Presanella und Cima Tosa einzuplanen. Das Ergebnis ist eine Route in acht Etappen, die fast alle Facetten eines Alpencross abdeckt, lediglich extreme Passagen werden bewusst umfahren.

 

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Aufbruch zum Alpencross in Bad Tölz, Foto: Martin Schliephake

 

Tag 1: Von Bad Tölz nach Mittenwald

Bei klassischer Nordstau-Wetterlage folgen wir ab Bad Tölz dem Verlauf von Isar und Rissbach ins Karwendel, bevor der Anstieg zum Hochalmsattel an steht. Die Mittagspause am Hermannvon-Barth-Denkmal gibt Gelegenheit, über Klettererlebnisse vergangener Jahrzehnte in den Laliderern zu philosophieren. Auf vielen Gipfeln dieses bekannten Klettergebiets der Nördlichen Kalkalpen standen die beiden bereits. Bisher nutzen meine Begleiter ihre EMotoren kaum und fast drängt sich der Gedanke auf, die beiden verweigern die ungewohnte Hilfe. Der lockere Schotter hinter dem Kleinen Ahornboden ändert dies prompt. Es ist heute still im Karwendel. Das zeitweise ungewohnte Surren neben mir und der Ausruf von Rolf: „Hui, das hilft gewaltig!“, erinnern mich unweigerlich daran, dass diese Tour für mich ohne Pedelec noch anstrengend werden kann. Beharrlich  ringen wir dem Schotter Serpentine für Serpentine ab, das Knirschen der Kieselsteine ist ständiger Begleiter. Am Hochalmsattel (1806 m) verstärkt sich meine Vermutung, als ich in zwei sehr entspannte Gesichter blicke. Die Akkus der Pedelecs zeigen in Sichtweite des Karwendelhauses fast 25 Prozent Restenergie – genug Puffer für die Strecke nach Mittenwald.

 

Tag 2: Ins Pitztal

Nebel taucht die Leutasch in ein mystisches Kleid, an der Gaistalalm entschwinden wir dann in die wolkenlose Bergwelt. Die wenigen Steigungsspitzen des Gaistals werden per Joker gemeistert, der Großteil der Auffahrt wird aber aus eigener Muskelkraft bewältigt. Die entspannte Fahrweise lässt Luft für Geschichten von rassigen Skitouren in den  Miemingern und Klettereien im Wetterstein. Nach Querung des Ehrwalder Talbeckens folgt der Fernpass als zweite Auffahrt. Ob sich wohl die Römer auf ihrem Weg in den Süden hier so leicht getan haben wie meine beiden Mitradler? Wohl kaum! Wir rauschen von der Fernpasshöhe (1206 m) über die Trasse der alten Römerstraße Via Claudia nach Nassereith und weiter bis Imst. Hier wartet der letzte Anstieg nach Wald im Pitztal, bis uns die frühe Herbstdämmerung einholt.

 

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So viel Eigenleistung wie möglich, so viel Unterstützung wie nötig: Der Alpencross mit Pedelecs führt hoch hinauf, Foto: Martin Schliephake

 

Tag 3: Entlang des Inns Richtung Engadin

Die „Benni-Raich-Brücke“, die höchste Fußgänger-Hängebrücke Europas, spannt sich 94 Meter über der Pitzenklamm kühn nach Arzl, bevor die Route zum Gachen Blick (1558 m) auf die Piller Höhe führt. Auf der Abfahrt ins obere Inntal beweisen Bikes und Fahrer erstmalig, dass sie durchaus geländegängig sind, zirkeln um leichte Kurven und meistern Wurzeln und kleine Stufen. Die restliche Strecke bis Scuol stellt bis auf die Distanz keine größeren Anforderungen. Auf der unausweichlichen Teerpassage zwischen der Kajetansbrücke (A) und Martina (CH) halten wir den Schnitt möglichst hoch. Kleine Dörfer und Weiler leiten uns entlang des Inns weiter ins Engadin. Die 110 Watt werden für kurze, steile Passagen per  Knopfdruck aus der Satteltasche zugeschaltet. Fein zu wissen, dass ein Zusatzantrieb parat ist, wenn die Beine müde werden. Früh erreichen wir Sur En.

 

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Schlussetappe über dem Gardasee mit luftigen Ausblicken: auf der Ponale-Straße, Foto: Martin Schliephake

 

Tag 4: Über den Schliningpass

Für eine Pedelec-Route ist der Costainas-Pass mit dem alten Arvenwald Tamangur die logische Wahl. Der bisherige Tourenverlauf, das Handling der leichten Bikes und die Bergerfahrung der Begleiter schließen die optionale D‘UinaSchlucht aber nicht aus. Eine steile 800-Höhenmeter-Auffahrt, eine 45-minütige Schiebepassage und das kupierte Hochplateau bis zur Sesvenna-Hütte fordern durchaus auch trainierte Biker heraus. Eine Nachfrage führt nur zu einem: „Ein wenig Quälerei darf beim Bergsport doch nicht fehlen. Ich bin froh, das alles noch so genießen zu können!“ Die Felsengalerie kennen die beiden zwar nicht, allerdings schwärmen sie im selben Atemzug von Skitouren in den Traumhängen der Sesvenna-Gruppe. Mit der zusätzlichen Energie wird die Steigung zur Alpe D‘Uina gut gemeistert. Auch die spektakuläre Schiebepassage durch die Felsengalerie stellt die Pedelec-Fahrer vor lösbare Aufgaben. Die schöne, aber zeitweise auch technisch fordernde Hochfläche vor dem  Schlinigpass (2309 m) zwingt die beiden zwar immer wieder aus dem Sattel, den Erlebniswert mindert das allerdings nicht. Nach der Abfahrt ins Vinschgau mit tollen Ortlerblicken zieht die Auffahrt nach Sta. Maria die letzte Energie aus den Speichern. Nach vier Tagen kommen heute erstmalig Akkus und Beine an ihre Grenzen, bevor uns das herzliche „Bun di“ unserer Wirtin empfängt.

 

Tag 5: Espresso-Stopp in Bormio 

Im Sommer schieben sich Massen von Radlern und Wanderern staunend über das weite Hochplateau des Val Mora. Heute treffen wir nur auf einen Wanderer und zwei einsame Pferde. Die Pflichtauffahrt bis zur Wasserscheide Döss Rodond (2234 m) ist mit der Zusatzhilfe der Akkus schnell Geschichte. Die Natur scheint heute ihre Besucher mit einem Feuermeer an gelben Lärchen bezirzen zu wollen, bevor der Winter seinen einheitlich weißen Mantel ausbreitet. Beeindruckt halten wir inne, bevor ein schöner Trail weiter nach Italien führt. Nach dem Espresso-Stopp auf dem alten Stadtplatz Bormios surren die Räder in Richtung Santa Caterina (1734 m). Meine Begleiter waren oft hier, für Hochtouren an Königspitze, Cevedale, Palon della Mare oder der Punta San Matteo oder zum Gleitschirmfliegen an der Cima Bianca. Glücklich erreichen wir das Hotel der befreundeten Bergführer- und Skifahrer-Familie Campagnoni in Santa Caterina, um den erlebnisreichen Tag bei einem Glas Rotwein und bestem italienischem Essen ausklingen zu lassen.

 

Wie geht's weiter? Tag 6 & 7 lesen Sie in DAV Panorama 2/2015