Logo-DAV-116x55px

Longlines als Aufgabe – Überlegungen zur Taktik

Lange Klettertouren – Kletterer und Autor Adi Stocker prägte dafür den Begriff Longlines – sind die Königsklasse im alpinen Sportklettern; der Übergang zum echten großen Alpinismus ist fließend oder manchmal inklusive. Ein Projekt, an das sich nur gestandene und erfahrene Kletterer wagen sollten. Sechs Grundvoraussetzungen für die Kletterei ohne Ende.

 

  1. Erfahrung: Große Wände haben eigene Gesetze. Die Orientierung ist komplexer, die Schwierigkeit fühlt sich nach 20 Seillängen etwas knackiger an, die Kletterschuhe werden auch nicht gemütlicher. Wessen Mehrseillängen-Erfahrungen sich auf 200-300-Meter-Routen beschränken, der sollte sich einen allmählichen Aufbau (400-500 Meter) gönnen – bevor er sich dann zunächst an den kürzeren und leichteren Routen im Buch versucht. Auch Ausrüstungs- und Taktik-Optionen lassen sich dabei durchspielen; denn bei einem tagesfüllenden Projekt bleibt nicht viel Zeit für Experimente.
  2. Ausdauer: Mindestens 20 Seillängen Klettern, das ist ein Wort. Dafür ist eine gute Grundlagenausdauer ein wertvolles Fundament. Und auch die Kraftausdauer in Fingern, Armen und Oberkörper sollte über das übliche Maß hinausgehen. Für einen Check sollte man sich mal einen Tag Zeit für die Kletterhalle oder den Klettergarten nehmen und versuchen, die geforderte Kletterstrecke im entsprechenden Grad zu absolvieren – also in der 14 Meter hohen Halle 50 Routen der Grade V bis VII. Zwar haben die meisten Longlines auch mal leichtere Stücke zwischendurch; dafür ist der mentale Anspruch höher, so dass es gut ist, zu wissen, dass man Reserven hat.
  3. Schwierigkeit: Über Schwierigkeitsbewertungen lässt sich beliebig lange streiten; absolute Wahrheit gibt es nicht. Fakt ist, dass selbst „gnädig“ bewertete Gebirgsseillängen im Vergleich zu manchen Hallenrouten gleichen Grades deutlich heftiger ausfallen, und einige fühlen sich sogar extra knackig an; die Griffe und Tritte sind „unbunt“ und manchmal gewöhnungsbedürftig angeordnet. Wasserrillentänze oder Stemmkamine brauchen spezifische Technik. Und die Hakenabstände sind alles andere als normgemäß – man sollte also vor allem im leichteren Gelände deutlich über den Dingen stehen.
  4. Orientierung: Was auf dem Wandfoto oder im Topo so glasklar aussieht wie ein Track auf Google Maps, kann in einer Achthundertmeterwand ein labyrinthisches Chaos werden. Gründliches Studium und Vergleich von Topo und Wandfoto und Check mit der AV-Karte (für Zu- und Abstieg) sind Sorgfaltspflicht zuhause. Beim Anmarsch die Linie identifizieren, in jeder Seillänge mit dem Topo abgleichen. Die Topos und Fotos im Buch sind sehr gut und sorgfältig gemacht; zusätzliche weitere Informationen aus dem Internet können unter Umständen helfen, aber auch für Verwirrung sorgen. Bestes Kapital: Erfahrung (siehe oben)! Tipp: jeder im Team hat eine Topokopie greifbar.
  5. Ausrüstung: Wer sich darauf einlässt, sollte wissen, was man für eine große Gebirgsroute braucht. Deshalb hier nur ein paar Überlegungen zu Variationen. Zwillings- oder Doppelseil bieten Scharfkantenreserve und Abseiloption; wenn die Route einen Fußabstieg hat, ist ein 60-Meter-Einfachseil leichter zu handhaben und hat weniger Reibung – fühlt sich aber in kantigem Gelände schnell sehr dünn an. Dafür kann man mit Einfachseil leichter (mit Doppelseil aber schon auch) mit Tibloc oder Microtraxion Seillängen zusammenhängen, wenn längere leichtere Abschnitte das nahelegen. Die Kletterschuhe müssen vor allem bequem sein; der sichere Stand kommt aus Reserven gegenüber der geforderten Schwierigkeit. Für Ambitionen zu extremen Schlüsselstellen könnte man ein paar leichte Performance-Schuhe mitnehmen…
  6. Gepäck: Je schwerer der Rucksack, desto schwerer die Kletterei. Die richtige Material-Auswahl ist A und O bei großen Touren. Richtig gepackt war der Rucksack, wenn jedes Teil (bis auf die Notfallausrüstung) einmal gebraucht wurde; was man wirklich braucht, lernt man nicht von heute auf morgen. Ultraleichtmaterial rentiert sich hier: dünner Anorak, Rettungsfolie, extraleichter Gurt und Drahtschnapper-Karabiner… Verzicht auf manche Dinge macht den Rucksack leichter, auf Kosten von Risikopuffern. Wobei das Risiko „schlechtes Wetter“ nicht vorkommen sollte: In eine Longline startet man nur bei perfekter Vorhersage.
 

 

Longlines: Volle Bandbreite

DAV Panorama 4/2020

Mehr erfahren
Vom Klettern großer Linien in den Nördlichen Kalkalpen – Ralf Gantzhorn nimmt uns mit auf die ganz großen Klettereien, Touren, bei denen der Kletterspaß nicht aufhört, auch wenn man eigentlich schon genug hatte. html { scroll-behavior: smooth; } hr.first-paragraph-separator { display: none !important; } Plus zum Heft: Audio-Kommentare + Bildmaterial + Tourenauswahl + Tipps & Tricks  

Longlines – Klettern (fast) ohne Ende

8 Routen - Alle Infos & Impressionen

Mehr erfahren
Vierzig alpine Klettertouren beschreibt Adi Stocker in seinem Buch "Longlines". Eine Auswahl haben unser Redakteur Andi Dick und der Fotograf, Autor und Bergsteiger Ralf Gantzhorn (†) getestet, detailliert beschrieben sowie in Bild und Audio aufbereitet. Mehr Infos zum Artikel in DAV Panorama 4/2020 html { scroll-behavior: smooth; }