J. Christian Rainer: Meister der Vertikale
Alpinismus-Geschichte
11.01.2022, 16:18 Uhr
Die Geschichte der Südtiroler Bergführer gleicht einem Gang durch oft schwieriges Gelände. Das Buch dazu enthält viele Fakten und beeindruckende Fotos. Rezensiert von Eberhard Neubronner.
Dem Bozener Verlag Edition Raetia sind seit seiner Gründung vor 30 Jahren zahlreiche Publikationen gelungen, die eine meist sehr positive Resonanz erzielt haben. Einen gewissen Schwerpunkt des Programms bilden kulturhistorische Themen, zu denen auch das vom Verband der Südtiroler Berg- und Skiführer herausgegebene, buchstäblich gewichtige Werk über dessen Mitglieder zählt. Es beginnt im Umfeld einheimischer Bauern, für die das Milieu zwischen Gipfel und Hochtal einst keinen Sportplatz verkörperte, sondern letztlich Ressource war (von objektiver Gefahr ganz zu schweigen) und endet heute.
Erst wohlhabende britische Alpinisten, unter ihnen diverse Geistliche, änderten während des 19. Jahrhunderts den seit langer Zeit gültigen Pakt mit der Natur. Mancher Gentleman suchte als stadtmüder Mensch einen Kontrast zum Alltag der Ebene, verpflichtete Gamsjäger oder Lasten buckelnde Hirten und heftete seinen Erfolg nach gelungener Tour gern an die eigene Brust. Kein Wunder also, dass Führer damals nur selten genannt wurden. Wenn aber doch, dann standen sie nach außen hin eher im Schatten der „Herren“.
Indes war schon 1821 in Chamonix das weltweit erste Bergführer-Reglement erlassen worden, um 1850 folgte die Schweiz und 1863 Salzburg; Tirol sowie Vorarlberg zogen nach. Offizielle Führerbücher kamen hinzu, ihre Inhaber sollten sich gegen Gäste „anständig, artig, freundlich und zuvorkommend … benehmen“ und „alle thunliche Beihilfe“ bieten. Aber auch Träger profitierten vom Wandel. So erhielt ein Tagelöhner für das Schleppen eines Gästerucksacks zum Hotel am Karersee in den Dolomiten stolze 5 Kronen Lohn, wofür er beim Bauern mehr als neun Tage Schwerstarbeit hätte leisten müssen.
Zurück zu den Bergführern Südtirols. 23 farbige Kurzbiografien enthält J. Christian Rainers Dokumentation, vier Porträts seien herausgegriffen: Da ist Johann Pinggera aus Außersulden am Ortler, der dem k. & k. Offizier und Kartografen Julius Payer unschätzbare Dienste erwies. 50 Gipfel wurden von dieser kongenialen Seilschaft bestiegen, 43 sind als Erstbegehung vermerkt. 1869 überredete Payer den starken Mann zu seiner Arktis-Expedition, doch schon in Bozen kehrte Pinggera heimwehkrank um. Michl Innerkofler aus Sexten kletterte rund 300 Mal auf den Monte Cristallo, wo er 1888 beim Abstieg rutschte und in einem Bergschrund starb. Er hinterließ ein Vermögen von mehreren Tausend Gulden. Peter Dangl (1844 – 1908) aus Pfunds/Oberinntal galt als besonders unerschrockener Führer. Man rühmte stets „seine Ruhe, seine nie versagende Sicherheit und Kaltblütigkeit“. Solche Eigenschaften brachten ihn mit englischen Teams bis in den Himalaja. Ähnlich weitgereist war Franz Kostner aus Corvara, der den Münchner Geografen und Alpinisten Dr. Gottfried Merzbacher im Tienschan-Gebirge begleitete. Sie scheiterten dort am knapp 7000 m hohen Khan Tengri, dem Matterhorn Kirgistans.
Kein Wunder, dass sich bei vielen Kollegen allmählich ein solides Selbstwertgefühl entwickelte. Resultat: Sie gingen in Distanz zu den 1862 und 1869 gegründeten Alpenvereinen OeAV und DAV (seit 1873 DuOeAV). Ihre schließlich 1908 formierte Organisation hieß Bergführerverein Ortlergebiet. Von da an bis zum 1945 ins Leben gerufenen Alpenverein Südtirol vergingen noch 37 Jahre mit stetigem Auf und ab bis zur Gegenwart.
„Meister der Vertikale“ als großes Panorama
Dem Autor ist jene Rundschau geglückt, die man auf einem hohen Grat in den Alpen als spektakulär speichert. Er schildert auch neueste Trends, in deren Umfeld der Führer Hanspeter Eisendle feststellt: „Es geht nicht um den Gipfel, sondern um den Erfahrungsraum Berg.“ Daran hat sich wenig geändert. Wer dies gut findet, wird J. Christian Rainers Buch Seite für Seite genießen.
Kurzcheck
Info
Besonders geeignet für … historisch Interessierte, die sich selten oder noch nie mit dem Thema Bergführer in Südtirol befasst haben.
J. Christian Rainer: Meister der Vertikale – Die Geschichte der Südtiroler Bergführer. Edition Raetia, 2021; 288 S., 25 Euro.