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Wozu ein Himmel sonst?

Alpinismus-Geschichte

26.06.2018, 14:24 Uhr

Himalayageschichte lebendig gemacht: Texte aus dem Nachlass des berühmten Expeditionsleiters und Filmemachers schildern plastisch die Zeiten, als die Achttausender erstbestiegen wurden.

„Lass sie nur reden – nimmer rührt’s den Berg. Doch schauen sollt ich weiter als ich greife. Wozu ein Himmel sonst?“ Das poetische Zitat von Robert Browning gibt den „Erinnerungen an meine Zeit im Himalaya“ von Norman G. Dyhrenfurth den Titel. Zu seinem 100. Geburtstag, den er nur um ein knappes Jahr verpasste, gibt der Tyrolia Verlag die „schönsten unveröffentlichten Texte aus dem Nachlass dieses großen Bergsteigers und Filmemachers“ heraus. Mit wachem Blick, stillem Humor und Interesse an den Menschen beschreibt er darin Erlebnisse und Abenteuer, Katastrophen und Glücksmomente von vier Everest-Expeditionen zwischen 1952 und 1963. Und zwischen den oft nüchternen Zeilen spürt man eine romantische Seele, brennende Leidenschaft und die Liebe zu den Menschen und den kargen Welten Nepals.

 

Tage der Pioniere

Dyhrenfurths Eltern Günther Oskar und Hettie erhielten bei den Olympischen Spielen 1936 den „prix olympique d’alpinisme“ für ihre Pionier-Expeditionen. Der Sohn Norman übernahm ihre Leidenschaft. Vor allem der Mount Everest hatte es ihm angetan. 1952 beteiligt er sich an einer Schweizer Expedition, die auf 8150 Meter scheitert. Doch die Sehnsucht brennt – zurück an seinem Lehrstuhl für Film in Los Angeles, fühlt er: „Die Fenster waren weit offen, die kalifornische Sonne schien hell – und doch war die Luft stickig; ich fühlte mich eingehemmt, umzingelt. Der Gedanke, dieses Leben wieder aufzunehmen, erfüllte mich mit Entsetzen … Allmählich kam ein Bild in den Fokus: tiefe, grüne Täler, kristallklare Bergbäche, primitive Steinhütten, buddhistische Chörten, unaufhörlich kreisende Gebetsmühlen, und über all dem der hohe Himalaya … Da war mein treuer Freund Ang Dawa: „Bitte, Sah’b, komm wieder zurück!“ Er hatte Tränen in den Augen.“

 

„Der Everest hat mein ganzes Denken umgestellt. Ich weiß es nicht, aber irgendetwas ist dort oben mit mir geschehen. Was früher furchtbar wichtig schien – jetzt ist es das einfach nicht mehr.“ Er kündigt seine Universitätslaufbahn, macht sich einen Namen als Film- und Fernsehregisseur. 1963 wird sein Traum wahr, eine amerikanische Expedition an den Everest zu führen. Tom Hornbein und Willi Unsoeld begehen dabei erstmals das „Hornbein-Couloir“ in der Nordflanke und machen die erste Überschreitung des Gipfels, Dyhrenfurth filmt bis in 8650 Meter Höhe.

 

„Wann immer ich die „Heilige Wiese“ von Tengpoche verlassen hatte, erfüllte mich ein starkes Gefühl, dort schon einmal, in einer früheren Existenz, gelebt zu haben. Jedes Mal war ich tief bewegt und den Tränen nahe. Ich wusste, dass ich ein Stück meiner selbst zurückließ, und dass ich eines Tages – irgendwie – wiederkehren müsste.“ Nur selten werden die Texte so offen emotional. Doch die Begeisterung für Nepals Berge und Menschen und für seine Expeditionskollegen schwingt auch in den eher nüchternen Berichten mit. Ein großer Künstler, eine große Seele, in einer großen Welt. In seinen Texten ist er uns nahe. Original-Fotos lassen die Atmosphäre von einst erahnen, ein Vorwort (Ed Webster) und ein Lebensbild (Michael Bilic) runden das kleine Büchlein ab.

 

Kurzcheck

Sprache
Fotos
Authentizität

Info

Besonders geeignet für … Menschen, für die es am Berg nicht um Erfolge geht, sondern um Erlebnisse und Menschen.

 

Link zum Verlag

 

Norman G. Dyhrenfurth, Wozu ein Himmel sonst? Erinnerungen an meine Zeit im Himalaya, Tyrolia Verlag, 2018, 144 S., 19,95 Euro

 

ISBN: 978-3-7022-3689-2

Reinhold Messner: Zwischen Durchkommen und Umkommen

Alpinismus-Geschichte

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Ein literarisches Denkmal für den klassischen Alpinismus aus berufener Hand – lebendig erzählt und zitiert, trotz ein paar Ungenauigkeiten. Reinhold Messner hat die Alpinismusgeschichte beeinflusst wie kaum ein anderer – in Wort und Tat. Ende der 1960er Jahre war er einer der markantesten Protagonisten des klassischen Bergsteigens: Mit bewusster Beschränkung der verwendeten Mittel gehörte er zu denen, die den Weg aus den Sackgassen von Techno-Direttissimas und Großexpeditionen wiesen. Als begabter Schreiber und charismatischer Vortragsredner gelang es ihm aber auch, die Ideen und Werte, für die er sich einsetzte, einem breiten Publikum verständlich nahezubringen. Mit diesem neuen Buch macht er die Geschichte und die Triebkräfte des „Traditionellen Alpinismus“ nachvollziehbar und bricht diesem riskanten „Spiel an der Grenze“ eine Lanze.   Interessanterweise fällt die Erscheinung von Messners Buch zeitlich zusammen mit dem Film „Traditional Alpinism“ seines Sohns Simon. Jener nennt als Faktoren, die diesen „mehr als“-Sport prägen: Schwierigkeit (an der persönlichen Grenze), Gefahr und „Exposition“, also abseits infrastruktureller Rückversicherungen. Und diese Faktoren prägen auch die Marksteine der Alpingeschichte, an denen entlang Reinhold Messner sein Narrativ abwickelt. Dafür stehen Zitate wie „Situationen, in denen man das Leben nicht mehr in der Hand hat“ (Georg Leuchs) oder „Wenn ich zusammenbreche, bedeutet es das Ende für alle“ (Walter Bonatti).   Die Form der Präsentation ist so vielgesichtig wie das Thema: Blitzlichter auf Protagonisten und Höhepunkte fügen sich zu einem facettenreichen Mosaik. Messner kombiniert historische und moderne Fotos, porträtiert große Alpinisten und lässt sie mit längeren Erzählungen selbst zu Wort kommen, schiebt Zitate (auch von sich selbst) und verbindende, erklärende, moderierende Texte dazwischen. So skizziert er eine Entwicklung vom „Eroberungsalpinismus“ über den „Schwierigkeitsalpinismus“ zum „Verzichtsalpinismus“ – zuerst in den Alpen, dann an den Bergen der Welt. Dabei treffen Eingeweihte auf viele alte Bekannte, doch Messner holt auch interessante Personen aus der Vergessenheit ans Licht. Eine anregende Lektüre, durch die man auch häppchenweise hüpfen kann und die vielfältige Inspiration bietet. 

J. Christian Rainer: Meister der Vertikale

Alpinismus-Geschichte

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Die Geschichte der Südtiroler Bergführer gleicht einem Gang durch oft schwieriges Gelände. Das Buch dazu enthält viele Fakten und beeindruckende Fotos. Rezensiert von Eberhard Neubronner. Dem Bozener Verlag Edition Raetia sind seit seiner Gründung vor 30 Jahren zahlreiche Publikationen gelungen, die eine meist sehr positive Resonanz erzielt haben. Einen gewissen Schwerpunkt des Programms bilden kulturhistorische Themen, zu denen auch das vom Verband der Südtiroler Berg- und Skiführer herausgegebene, buchstäblich gewichtige Werk über dessen Mitglieder zählt. Es beginnt im Umfeld einheimischer Bauern, für die das Milieu zwischen Gipfel und Hochtal einst keinen Sportplatz verkörperte, sondern letztlich Ressource war (von objektiver Gefahr ganz zu schweigen) und endet heute.   Erst wohlhabende britische Alpinisten, unter ihnen diverse Geistliche, änderten während des 19. Jahrhunderts den seit langer Zeit gültigen Pakt mit der Natur. Mancher Gentleman suchte als stadtmüder Mensch einen Kontrast zum Alltag der Ebene, verpflichtete Gamsjäger oder Lasten buckelnde Hirten und heftete seinen Erfolg nach gelungener Tour gern an die eigene Brust. Kein Wunder also, dass Führer damals nur selten genannt wurden. Wenn aber doch, dann standen sie nach außen hin eher im Schatten der „Herren“.   Indes war schon 1821 in Chamonix das weltweit erste Bergführer-Reglement erlassen worden, um 1850 folgte die Schweiz und 1863 Salzburg; Tirol sowie Vorarlberg zogen nach. Offizielle Führerbücher kamen hinzu, ihre Inhaber sollten sich gegen Gäste „anständig, artig, freundlich und zuvorkommend … benehmen“ und „alle thunliche Beihilfe“ bieten. Aber auch Träger profitierten vom Wandel. So erhielt ein Tagelöhner für das Schleppen eines Gästerucksacks zum Hotel am Karersee in den Dolomiten stolze 5 Kronen Lohn, wofür er beim Bauern mehr als neun Tage Schwerstarbeit hätte leisten müssen.   Zurück zu den Bergführern Südtirols. 23 farbige Kurzbiografien enthält J. Christian Rainers Dokumentation, vier Porträts seien herausgegriffen: Da ist Johann Pinggera aus Außersulden am Ortler, der dem k. & k. Offizier und Kartografen Julius Payer unschätzbare Dienste erwies. 50 Gipfel wurden von dieser kongenialen Seilschaft bestiegen, 43 sind als Erstbegehung vermerkt. 1869 überredete Payer den starken Mann zu seiner Arktis-Expedition, doch schon in Bozen kehrte Pinggera heimwehkrank um. Michl Innerkofler aus Sexten kletterte rund 300 Mal auf den Monte Cristallo, wo er 1888 beim Abstieg rutschte und in einem Bergschrund starb. Er hinterließ ein Vermögen von mehreren Tausend Gulden. Peter Dangl (1844 – 1908) aus Pfunds/Oberinntal galt als besonders unerschrockener Führer. Man rühmte stets „seine Ruhe, seine nie versagende Sicherheit und Kaltblütigkeit“. Solche Eigenschaften brachten ihn mit englischen Teams bis in den Himalaja. Ähnlich weitgereist war Franz Kostner aus Corvara, der den Münchner Geografen und Alpinisten Dr. Gottfried Merzbacher im Tienschan-Gebirge begleitete. Sie scheiterten dort am knapp 7000 m hohen Khan Tengri, dem Matterhorn Kirgistans.   Kein Wunder, dass sich bei vielen Kollegen allmählich ein solides Selbstwertgefühl entwickelte. Resultat: Sie gingen in Distanz zu den 1862 und 1869 gegründeten Alpenvereinen OeAV und DAV (seit 1873 DuOeAV). Ihre schließlich 1908 formierte Organisation hieß Bergführerverein Ortlergebiet. Von da an bis zum 1945 ins Leben gerufenen Alpenverein Südtirol vergingen noch 37 Jahre mit stetigem Auf und ab bis zur Gegenwart. 

Bücher rund ums Frauenbergsteigen

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Ausgewählte Bücher, die besondere Geschichten von besonderen Frauen erzählen. - Frauen in den Bergen: Solche, die schon im 19. Jahrhundert auf Geschlechterschubladen gepfiffen haben oder solche, die im 21. Jahrhundert Außergewöhnliches erreichen. Und ihre Leidenschaft leben. Diese Liste wird immer wieder ergänzt. Außerdem ein Tipp zum Weiterlesen und -hören: "Von den unsichtbaren Frauen" im Jubiläums-Blog zum 150-jährigen Bestehen des Alpenvereins.   (Die Bibliothek ist wegen umfassenden Umbauten des Alpinen Museums bis voraussichtlich Mitte 2023 geschlossen.) 

Rudi Palla: In Schnee und Eis

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Wie funktionierte das Reisen und Bergsteigen im Himalaja Mitte des neunzehnten Jahrhunderts? Ein lebendig geschriebenes Buch über die Expedition der Brüder Schlagintweit lässt es nachvollziehen. Die dreijährige Reise (1854-57) der Brüder Hermann, Adolf und Robert von Schlagintweit durch den Himalaja ist eine der berühmtesten Expeditionen aus der Frühzeit des Alpinismus. Viele Besucher sahen die Ausstellung dazu im Alpinen Museum des DAV. Was es aber wirklich bedeutete, sich in dieser Welt zu bewegen, das lässt der Autor Rudi Palla in journalistischer Erzählung lebendig werden. Wie Alexander von Humboldt als Drahtzieher in England die Finanzierung und Beauftragung klarstellte; wie die Brüder zwischen Blutegel-Dschungeln, Gletschern und viktorianischen Herrschaftshäusern pendelten und unzählige wissenschaftliche Sammelstücke anhäuften; wie Wissenschaft, Politik und Alpinismus auf den höchsten Bergen aufeinandertrafen. 

Bernadette McDonald: Der Weg zur Spitze

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Die Alpinisten des ehemaligen Jugoslawien, vor allem aus Slowenien, gehören zu den erfolgreichsten der Welt – und hatten mit die höchste Sterberate. Diese mitreißende Dokumentation erzählt von ihren Motivationen und Leidenschaften. „Es geht nicht um Ruhm. Seit es die Welt gibt, sterben Alpinisten wegen ihres glühenden Wunsches, versteckte Kräfte in sich selbst zu entdecken, die sie über die Grenzen ihres ruhigen häuslichen Lebens, in dem sie gefangen sind, hinwegheben werden … Dieser Wunsch treibt dich dazu an, Gefahr zu erleben und mit deinem eigenen Verstand und deinen eigenen Händen zu überwinden. In diesem Augenblick wagst du es, mit hoch erhobenem Haupt der Gefahr ins Angesicht zu blicken“.