Die Zukunft ist grün
Sachbuch
15.11.2021, 08:11 Uhr
Man könnte so weiterleben wie komfortabel gewohnt, auf die Politik und innovative Wundertechnologien hoffen. Man könnte aber auch lesen, wie die Wissenschaft derzeitige Zusammenhänge und Entwicklungen analysiert, und wie man sich für eine gute Zukunft für Menschheit samt Mitwelt einsetzen könnte. Zum Beispiel in diesen Büchern.
Gunther Mair: Dilemma
Warum wir unsere Ressourcen zerstören, obwohl wir es doch besser wissen. So heißt der Untertitel des Buches – es versucht diese Frage zu beantworten, die man sich durchaus schon einmal gestellt haben mag. Dafür nutzt der Autor, Chemiker und Umweltaktivist, einen breiten, wissenschaftsbasierten Ansatz. Nach einem gut zusammengestellten Überblick mit Zahlen und Fakten zu Klima und Umwelt in der Erdgeschichte behandelt er ausführlich die „Tragik der Allmende“, die von der Wirtschafts-Nobelpreisträgerin Elinor Ostrom so benannt wurde: Wenn Gemeingut nicht gemeinschaftlich verantwortungsvoll genutzt wird, kann es durch Egoismen verlorengehen. Beispiele belegen dies, etwa aus der Besiedlung der pazifischen Inseln, wo die Bevölkerung ausstarb, nachdem sie alle Wälder gerodet hatte. Für eine gemeinsam verantwortete Nutzung braucht es aber Vertrauen – am Beispiel des „Gefangenendilemmas“ und diverser verwandter Experimente illustriert der Autor, dass Egoismus, der auf kurzfristigen Nutzen zielt, oft langfristige soziale Ziele torpediert. Andererseits können gut aufgestellte Institutionen und Politik auch Erfolge erreichen, wie das Beispiel des Ozonlochs belegt. Sozialpolitische und neurowissenschaftliche Hintergründe und Wirkmechanismen stellt der Autor so verständlich dar, wie es eben möglich ist; etwas Energie und Bereitschaft, sich einzuarbeiten, verlangt die Lektüre dennoch. Doch es lohnt sich: denn wer durchschaut, wie soziale Strukturen und Denk-Automatismen unser Handeln beeinflussen, der schafft es vielleicht, den „Autopiloten abzuschalten“, wie es im letzten Kapitel heißt, und durch umfassendes Handeln dazu beizutragen, dass die Menschheit doch noch in ihr Überleben einstimmt. Keine leichte Kost, aber wertvolle.
Gunther Mair: Dilemma, tredition, 2021, 248 S., 14,- Euro
Mike Berners-Lee: Wie schlimm sind Bananen?
Mike Berners-Lee, Bruder des HTML-Erfinders und Internet-Mitbegründers Tim Berners-Lee, ist Professor am Institut für „social futures“ an der Uni Lancaster; er forscht über die globalen Ernährungssysteme und den CO2-Ausstoß. Mit „Es gibt keinen Planet B“ schrieb er einen Bestseller; „Wie schlimm sind Bananen“ war sein erstes Buch, das er nun gründlich überarbeitet neu vorlegt. Anhand vieler Alltagsbeispiele macht er deutlich, welche Emissionen und damit Klimawirkungen unser Konsum hat: ob Leitungswasser, Banane oder Rindersteak, ob Radfahren, Tanken oder Fliegen – bis hin zu den Milliarden-Tonnen-Faktoren wie Informationstechnik, Abholzung und Krieg. Dabei klärt er beiläufig, kundig und unterhaltsam auf über Hintergründe und Zusammenhänge. Abgerundet wird das Buch durch das Einleitungskapitel zum CO2-Fußabdruck und durch ausführliche weiterführende Anregungen zu negativen Emissionen, Möglichkeiten der Einzelnen und Rechenschaft über die Zahlenquellen, alles ausführlich diskutiert und differenziert. Ein Standardwerk, in dem man immer wieder nachschlagen kann, um ein Verständnis für die Dimensionen des Problems und für eine sinnvolle Planung der eigenen Verantwortlichkeit zu bekommen.
Mike Berners-Lee: Wie schlimm sind Bananen?, Midas Verlag, 2021, 280 S., 22,- Euro
Jennifer Brockerhoff: Grüne Finanzen
Über Geld redet man nicht? Wie dumm! Denn zum einen ist Unbedarftheit bis Ahnungslosigkeit in Finanzdingen gefährlich, in der Schule lernt man aber nicht, wie man dafür sorgen kann, dass die Rente wirklich sicher ist. Zum anderen geht das persönliche Geld auf den internationalen Finanzmärkten oft verschlungene, manchmal auch dubiose Wege. Banken, Versicherungen oder gemischte Anlagefonds investieren häufig in Firmen, die mehr oder weniger nachhaltig agieren. Einige bedeutende Finanzverwalter wie der Norwegische Rentenfonds sind schon vor einigen Jahren dazu übergegangen, beispielsweise Aktien von Kohle- oder Erdölfirmen aus ihrem Portfolio zu verbannen – und auch als Kleinanleger kann man sich an diesem Beispiel orientieren. Über solche Hintergründe klärt dieses Büchlein zuerst auf, dann gibt die Autorin jede Menge Tipps zur persönlichen Finanzplanung, zu unterschiedlichen Anlagestrategien und ihren Risiken – und dazu, wie man sein Geld unter Nachhaltigkeitsaspekten sinnvoll verwaltet. Ein Interview mit dem Postwachstumsprofessor Nico Paech, ein Glossar, Literatur- und Quellennachweis runden den Ratgeber ab.
Jennifer Brockerhoff: Grüne Finanzen, Oekom Verlag, 2021, 160 S., 16,- Euro
Matthias Medert: 17 Ziele für eine lebenswerte Zukunft
Was ist Nachhaltigkeit? Ein wahllos missbrauchter Greenwashing-Begriff der Marketing-Industrie, klar. Aber eigentlich die Grundlage eines vernünftigen und zukunftsfähigen Lebens: Nur so viel zu verbrauchen, wie nachwächst. Diese einfache Maxime aus der Forstwirtschaft, wo der Begriff geprägt wurde, hat in unserer komplexen globalen Welt viel mehr Facetten: Die Vereinten Nationen haben sie in „17 Ziele“ gegossen. Diese 17 Punkte behandelt der Autor: Zuerst schildert er ein motivierendes Erfolgsbeispiel. Dann erklärt er Hintergründe und Zusammenhänge, Probleme und Lösungsansätze; zuletzt gibt jedes der 17 Kapitel Tipps fürs eigene, nachhaltige Handeln. Zwei Abschlusskapitel verleihen diesen Tipps noch eine größere Perspektive: Wie persönliches Engagement gegen schlechte Gewohnheiten und Strukturen andere zum Nachmachen motivieren kann und vielleicht sogar die Politik bewegt, der Menschheit gute Gleise in eine nachhaltige Zukunft zu legen. Angenehm geschrieben, ohne Zeigefinger; die Tatsachen sprechen für sich.
Matthias Medert: 17 Ziele für eine lebenswerte Zukunft, Springer Verlag, 2020, 276 S., 20,- Euro
Kurt de Swaaf: Der Zustand der Welt
Der „Welt-Biodiversitäts-Rat“ IPBES konstatiert eine nie dagewesene Bedrohung der weltweiten Ökosysteme. Der Autor, Biologe und Wissenschaftsjournalist, macht die Aussagen an Beispielen greifbar – schildert Treiber der Entwicklung, skizziert aber auch Lösungsansätze, die vielleicht noch Rettung bringen könnten. Dabei scheut er nicht klare, provokante Formulierungen wie „Die Erde hat Fieber. Sie leidet unter Homo sapiens wie ein Mensch unter einer lebensgefährlichen Infektion“. Er liefert aber auch die Belege dazu, die die Wissenschaft zusammengetragen hat. In diesem Rhythmus zwischen Reportage-Elementen, frechen Slogans und nüchternen Fakten skizziert er die Bedrohung, die nicht etwa nur die Erde und ihre Tier- und Pflanzenwelt betrifft, sondern eben auch uns Menschen, die wir auf diese Mitwelt angewiesen sind. Und auch wenn man beim Titel „Der Zustand der Welt“ schwarz sehen mag: Damit findet er sich nicht ab – wie schon der Untertitel zeigt: „Warum wir die Erde noch retten können und was wir dafür tun müssen.“
Kurt de Swaaf: Der Zustand der Welt, Terra Mater Books, 2021, 208 S., 24,- Euro
Benjamin von Brackel: Die Natur auf der Flucht
Ob die Politik den Mut und die Energie aufbringt, die „massiven Anstrengungen“ auf sich zu nehmen, die der Weltklimarat IPCC als nötig bezeichnet, um das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen: Das ist die große Frage unserer Zeit. Wie sich die bisherige Erwärmung schon auswirkt auf die Biosphäre der Erde, das schildert in diesem Buch ein renommierter Umweltjournalist an bestürzenden Beispielen. Tiere und Pflanzen, denen es in ihren Lebensräumen zu heiß wird, wandern in polnähere oder höher gelegene Regionen aus, so rasch es ihnen möglich ist; die dortigen Arten, die ohnehin unter Wärmestress geraten sind, werden von der immigrierten Konkurrenz verdrängt. Lebensgrundlagen für die Bewohner der Regionen werden bedroht, ökologische Netze und Kreisläufe geraten aus dem Gleichgewicht. „Die Arktis schrumpft“, „Bewohnerwechsel in der gemäßigten Zone“, „Exodus aus den Tropen“ heißen die Kapitel, die mit drastischen Beispielen und wissenschaftlichen Untersuchungsergebnissen vollgepackt sind. Ob der „Neustart: Versöhnung mit der Natur“ aus dem letzten Kapitel „Lösungen“ gelingen wird? Man kann nur hoffen – und sich dafür einsetzen.
Benjamin von Brackel: Die Natur auf der Flucht, Heyne Verlag, 2021, 288 S., 12,99 Euro
Esther Gonstalla: Das Eisbuch
Eis ist nicht nur für Wasserfall- und Nordwandaficionados oder für gschleckerte Kinder interessant. Die so genannte Kryosphäre trägt mit dazu bei, die Aufheizung der Erde zu bremsen, wie Prof. Dr. Antje Boetius, Direktorin des Alfred-Wegener-Instituts, im Vorwort schreibt. Gletscher und Eisschilde speichern Süßwasser, Permafrostböden schützen Küsten for Erosion und speichern Methan und CO2, das Meereis ist ein vielfältiges Habitat. Doch der Eisrückgang durch die Klimaerwärmung geht voran, wie nicht zuletzt die „Mosaic“-Expedition belegt hat. Die Autorin und Illustratorin hat schon mit dem „Klimabuch“ bewiesen, wie schön sich komplexe Zusammenhänge durch Grafiken verständlich machen lassen; eiskalt serviert sie den zweiten Band. Gründlich recherchiert, in doppelseitige verdauliche Häppchen aufgeteilt und in Wort und Grafik anschaulich präsentiert, liefert sie einen gründlichen Überblick über den Zustand der globalen Eiswelten, Veränderungen und Bedrohungen – und was wir tun können, um sie zu schützen.
Esther Gonstalla: Das Eisbuch, Oekom Verlag, 2021, 112 S., 24,- Euro