Thomas Käsbohrer: Der Einsatz meines Lebens
Sachbuch
11.01.2022, 16:29 Uhr
Es ist schon das zweite Buch, mit dem der Autor packend die Einsatzwelt der Männer und Frauen bei der Bergwacht miterleben lässt. Und es bringt wieder viel spannenden Lesestoff.
Doppeldeutiger Titel
„Am Berg“ hieß das erste Buch von Thomas Käsbohrer, in dem er „Bergretter erzählen“ ließ. Die Berichte von ihren spektakulären oder bewegenden Einsätzen ließ er sie persönlich erzählen, packend packend in der Ich-Form wiedergegeben. Sein zweites Buch über das gleiche Thema trägt einen clever doppeldeutig formulierten Titel: Bergrettungseinsätze bedeuten oft erhöhte Gefahr für die freiwilligen Helfer – und einige davon bleiben als besonders, außergewöhnlich oder tiefschürfend, im Gedächtnis.
Auch hier mischt der Autor die Erinnerungen seiner Gesprächspartnerinnen mit der Schilderung ihrer Begegnung und zeichnet auf, wie sich ihre Berufung, Leben zu retten, mit ihrem Privatleben verzahnt. Etwa wenn Michael Renner eine schwierige Bergung am Watzmann nur per Funk mitverfolgt, weil er eigentlich den Tag mit seiner zehnmonatigen Tochter verbringen wollte – bis dann ein Kollege auf die Tochter aufpasst, damit er den Einsatzleiter ablösen kann. Oder wenn ein junger, hochmotivierter Rettungssanitäter zwei Stunden lang auf einem schmalen Felsband um das Leben einer abgestürzten Kletterin ringt und der Kampf verlorengeht, weil der Notarzt und das medizinische Instrumentarium nicht schnell genug herbeigebracht werden können.
Kässbohrer schreibt selber in Ichform von seinen Begegnungen mit den Bergwachtmenschen, schildert ihre Lebenssituation, Familie, Beruf und soziales Umfeld, das meistens aus anderen Bergwachtlern besteht. Er schildert die Landschaften, in denen die Unfälle geschehen sind. Und lässt die Bergretterinnen und -retter dann selber erzählen von ihren Einsätzen und Gefühlen. Wobei die Emotionen auch auf den Leser überspringen können, etwa wenn er mit lapidaren Worten schildert, wie ein Vermisster nach zwei Jahren gefunden wird und die Eltern zumindest Gewissheit über den Tod erhalten, ihren Sohn begraben und mit ihrer Trauerarbeit beginnen können.
Man merkt es manchen Formulierungen an, dass der Autor selbst kein Bergsteiger ist. Aber er hat Gespür und Interesse für Menschen und ihre Geschichte, für ihre Erlebnisse und das was sie bewegt. Und er kann es einfangen und nachvollziehbar machen.
Reportagen – und Hintergründe
Ergänzend schieben sich zwei Kapitel zwischen die Rettungs-Geschichten. In einem Interview stellt der Bergführer und Gutachter Chris Semmel klar, dass für 99% der Alpinunfälle die Betroffenen selbst verantwortlich sind. Aber sind sie auch schuldig? Nicht jedes riskante Verhalten führt unvermeidlich zum Unfall, nicht jeder Unfall war definitiv vorhersehbar. Es gibt inkompetentes Verhalten, das ohne Folgen bleibt, und es gibt abgewogene Entscheidungen mit unglücklichem Ausgang. Und niemand ist sicher vor Fehlentscheidungen, sie liegen in der menschlichen Natur. Das illustriert Semmel mit dem Bericht von einem Lawinenunfall, den er selbst knapp überlebt hat, und wie er mit seinen Selbstansprüchen sich die Schuld daran eingestehen muss. Ein weiteres Interview mit dem Psychologen und Bergsteiger Bernhard Streicher durchleuchtet die psychologischen Hintergründe von Entscheidungen, die oft einem „guten“ Entscheiden im Wege stehen.
So liefert auch dieses Buch wieder viel spannende Lektüre und große Emotionen – und motiviert womöglich dazu, über die eigene Bergleidenschaft zu sinnieren und sich um mehr Exzellenz dafür zu bemühen. Dass ein Viertel der Erlöse als Spende an die Bergwacht geht, darf die Kaufentscheidung gerne beeinflussen.
Kurzcheck
Info
Besonders geeignet für … alle Menschen, die bereit sind, Heile-Welt-Fantasien kritisch zu hinterfragen.
Thomas Käsbohrer: Der Einsatz meines Lebens, Millemari Verlag, 2021, 268 S., 24,95 Euro