Matthias Heise/Christoph Schuck: Letzte Bergfahrt
Bildband
23.02.2021, 16:18 Uhr
Berge ohne Menschen, zum Zweiten: Wenn Skigebiete zumachen, geht das Leben in den Alpen trotzdem weiter.
Skifahren ist kein Volkssport mehr. Der knallharte Verdrängungswettbewerb schafft einige (fast immer große bis sehr große) Gewinner und viele (fast immer kleine) Verlierer. In letztere Kategorie fallen die sogenannten LSAP, Lost Ski Area Projects: Skigebiete, die den Betrieb eingestellt haben und die sich nun zwischen Abbau, Verfall und touristischen Alternativen neu (er-)finden müssen. Einige Dutzend solcher LSAP gibt es in der Schweiz, für das vorliegende Buch wurden vier ausgewählt; sie liegen in den Kantonen Wallis, Uri und Graubünden und wurden zwischen 2014 und 2018 eingehend untersucht. Hinter dieser „wissenschaftlichen Pionierstudie“ steht die Technische Universität Dortmund, was nur auf den ersten Blick seltsam erscheint. Auch im Ruhrgebiet ist eine Industrie zu Ende gegangen, und warum sollte der Strukturwandel vor den Berggebieten haltmachen?
Drei Hauptgründe nennen die Autoren für den Niedergang: den abnehmenden Stellenwert des alpinen Wintersports zugunsten anderer Freizeitaktivitäten, Probleme der Topografie und des Klimas sowie betriebswirtschaftliche Fehlkalkulationen auf der Basis unrealistischer Erwartungen. Etwas geht zu Ende, etwas anderes kommt. Aber was? Soll man auf kapitalextensive „sanfte” Aktivitäten wie Langlauf, Rodeln und Winterwandern setzen? Investoren von auswärts suchen? Selbst noch mehr Geld reinstecken? Der laufende Betrieb und die ständigen Modernisierungen verschlingen gewaltige Summen, die Ertragslage ist angesichts des Klimawandels und der gesellschaftlichen Veränderungen schon vor Corona mehr als unsicher gewesen.
Die „Letzte Bergfahrt” erklärt Zusammenhänge, Entwicklungen, Abhängigkeiten und Chancen, die sich auch auf andere Alpenländer übertragen lassen: wissenschaftlich-empirisch, in einer klaren Sprache, die sich Emotionalität nicht verbietet. Viele Menschen – Urlaubsgäste, Einheimische und auch die Autoren selbst – erinnern sich ja gern an ihre Schwünge auf den nun aufgelassenen Pisten. Die Fotos illustrieren die Studie kongenial: Sie sind sachlich, schön und frei von jener schicken „Lost Places”-Romantik, die sich in der zeitgenössischen Fine-Arts-Fotografie längst als eigenes Genre etabliert hat.
Kurzcheck
Info
Besonders geeignet für: … alle, die sich unsicher sind, ob sie stillstehenden Skiliften heute noch nachtrauern dürfen. Sie dürfen! Ob allerdings auch die Mega-Skigebiete mit ihren Giga-Infrastrukturen einmal ähnliche Gefühle der Nostalgie wecken werden, erscheint fraglich.
Matthias Heise/Christoph Schuck: Letzte Bergfahrt – Aufgegebene Skigebiete und ihre touristische Neuausrichtung, AS Verlag, 2020, 222 S., 52 Euro
ISBN: 978-3-03913-011-5