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Werner Bätzing: Das Landleben und „Bibliographie Alm- und Alpwirtschaft“

Sachbuch

30.08.2021, 09:58 Uhr

„Geschichte und Zukunft einer gefährdeten Lebensform“, so untertitelt der renommierte Alpenforscher sein neuestes Buch – und entwirft ein vitales Zukunftsbild für das Leben außerhalb der Städte.

Das Land – die Klischees sind schnell zur Hand: abgehängte Peripherie, übernutzte Agrarindustriefläche oder romantischer Sehnsuchtsort. Werner Bätzing, Geograph und Alpenforscher, stellt dem seine Forderung entgegen: „Für mich sind Stadt und Land zwei unterschiedliche, jedoch gleichwertige Lebens- und Wirtschaftsräume, die jeweils unterschiedliche Vor- und Nachteile besitzen, die voneinander abhängig sind und sich wechelseitig ergänzen und die nur gemeinsam ein „gutes Leben“ ermöglichen.“ Das Land solle nicht verstädtern und nicht auf die Funktionen Naturschutz und Erholung reduziert werden, sondern langfristig ein lebenswerter Lebens- und Wirtschaftsraum mit dezentralen Strukturen bleiben.

 

Um diese Ideen abseits von Vorurteilen und Verklärung auszubreiten, skizziert er zunächst die Geschichte des „Landlebens“: beginnend mit dem Wandel von der Jäger- und Sammlerkultur hin zu Sesshaftigkeit und Ackerbau. Die anschließende Entstehung von Städten und Hochkulturen habe dann das Land grundsätzlich entwertet, „obwohl es die Grundlage allen städtischen Lebens darstellt“. Da das Buch eine hauptsächlich europäische Perspektive einnimmt, untersucht er dann die hier gegebene Sonderentwicklung im Mittelalter, die das Landleben aufwertete – bis die Industrielle Revolution ein „Ende der Fläche“ brachte: Kohlebeheizte Dampfmaschinen konnten auf relativ kleinem Raum extrem viel Arbeit leisten und Wertschöpfung erzeugen. Nach dem Zweiten Weltkrieg konstatiert Bätzing für die BRD eine „forcierte Modernisierung (Verstädterung)“ des ländlichen Raumes – gefolgt von einem „großen Trendbruch“ der 1980er Jahre, bei dem noch offen sei, ob die Veränderungen „das Landleben wirklich aufwerten oder ob sie lediglich ein Idyll auf dem Land inszenieren“.

 

Manifest mit Zukunfts-Blick

Das letzte Kapitel schaut in die Zukunft: Politisch-programmatisch schlägt der Autor „fünf Leitideen zur Aufwertung des Landlebens“ vor. 1) Kulturelle Identität als Schlüsselfaktor für die Identifikation mit dem Land als Lebensraum und für eine konstruktive Arbeit daran. 2) Wirtschaftliche Stärkung auf Grundlage regionaler Potenziale – also eben nicht Ansiedlung von Großbetrieben, sondern Förderung der vorhandenen Strukturen. 3) Stärkung ländlicher Infrastrukturen – vom Dorfladen und der Schule bis zu Krankenhäusern, Kultur- und Mobilitätsangeboten. 4) Neue Raumstrukturen fordert er, weil gerade Landkreisgrenzen der Gebietsreform der 1970er Jahre „viele ländliche Regionen zerschnitten … und damit den ländlichen Raum erheblich geschwächt“ hätten. 5) Zuletzt skizziert er unterschiedliche Schwerpunkte für die fünf anfangs definierten Typen ländlicher Räume – stadtnah, mit wirtschaftlichem oder agrarischem Potenzial, attraktiv für Tourismus oder strukturschwach.

 

Das Buch ist engagiert, ein Ergebnis von 40 Jahren wissenschaftlicher Forschungs- und Lehrarbeit. Bätzing legt dabei Wert auf einen „doppelten Blick“ aufs Land: einerseits die sachliche Analyse dessen, was existiert, und seiner Interaktionen. Andererseits dessen Bewertung, die in politisches Handeln münden sollte, um Grundlagen zu bewahren und „selbstzerstörerische Prozesse“ zu verhindern. Seine Sprache ist klar, seine Aussagen durch Beispiele belegt, persönliche Standpunkte vertritt er mit Entschiedenheit. Das Manifest eines pragmatischen Idealisten verdiente viele interessierte Leser*innen, die seine Ideen in eine zukunftsträchtige Politik umwandeln helfen.

 

Alle Bücher über Almen

Ein weiteres Werk veröffentlicht Werner Bätzing parallel im Context Verlag: Erstmals hat er sämtliche Publikationen über die Alm- und Alpwirtschaft zusammengetragen und in einer Bibliographie dokumentiert: 2.400 Titel, gegliedert nach Staaten und Regionen. Ein wichtiges Nachschlagewerk für die weitere Forschung zu diesem Kulturerbe, das die Alpen stark geprägt hat – ja, einen großen Teil davon zu dem gemacht hat, was wir heute schätzen.

 

Kurzcheck

Verständlichkeit
Anregung
Info

Info

Besonders geeignet für … Landeier und Sympathisant*innen

 

Werner Bätzing: Das Landleben. Geschichte und Zukunft einer gefährdeten Lebensform, C.H.Beck Verlag, 2020, 302 S., 26,- Euro

 

Werner Bätzing: „Bibliographie Alm- und Alpwirtschaft“, Context-Verlag, 2021, ca. 340 S., 49,90 Euro

 

ISBN: 978-3406748257

Jürg Meyer: Wie Berge entstehen und vergehen

Sachbuch

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Wie wachsen Berge? Wie hoch können sie noch werden? Wann sind sie verschwunden? Auf Fragen, die er bei Exkursionen immer wieder gehört hat, gibt der Autor Antworten auf aktuellem wissenschaftlichem Niveau. Keine leichte Kost, aber schmackhafte. Nein, Geologie ist kein leichtes Fach – mindestens so schwer wie die lastenden Gesteinmassen, mit denen sie sich beschäftigt. Und deren bewegtes Auf und Ab im Lauf der Erdgeschichte sie nachzuvollziehen sucht. Der Autor versucht auch gar nicht erst, seine Botschaften unzulässig zu vereinfachen: Er mutet seiner Leserschaft einiges zu an Komplexität und Differenzierung, empfiehlt sogar mal mehrfaches Lesen eines Schlüsselkapitels und Zurückblättern zu einer zentral wertvollen Illustration.   Warum also sollte man sich so viel Mühe machen? Vielleicht weil es spannend und anregend ist, sich um Verständnis darum zu bemühen, wie diese Berge entstanden sind, in denen wir unsere Freude finden? Oder weil wir in der Verwöhnung durch allgegenwärtige, allzu leichte Medien-Kost auch mal was Kräftiges zum Kauen vertragen könnten?   Schmackhaft aufbereitet hat der Autor sein Sujet allemal. 30 Gänge serviert er, jeweils abgeschlossene Einzel-Essays, die aufeinander aufbauen und das allmächlich wachsende Verständnis anreichern und vertiefen. Seine Sprache ist dabei klar, er findet immer wieder schöne Metaphern und Sprachbilder, weckt Neugier durch freche Fragen. Beispielfotos und Infografiken helfen der Vorstellung auf die Sprünge – auch wenn wiederholte Schnitte durch Gebirgs-Schichtungen einiges an Gewöhnung fordern. Als kleine Incentives gibt es pfiffige Cartoons zu jedem Kapitel und einen Kasten „Wo sehen und erleben?“, der zu Stellen in den Alpen führt, wo die beschriebenen geologischen Vorgänge optisch nachvollziehbar sind. 

Hans-Joachim Löwer: Flucht über die Alpen

Sachbuch

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In prägnanten Reportagen beleuchtet der Autor ein weitgehend verdrängtes Kapitel der Nachkriegszeit. Er beschreibt die Probleme der gewaltigen Flüchtlingsströme und schildert die gefahrenvolle Flucht jüdischer Holocaust-Überlebender über die Alpen nach Palästina und deren Auswirkung bis heute. Die Alpen sind für Bergsteigerinnen und Bergsteiger längst ein vertrauter und beliebter Sport- und Erholungsort. Seit jeher war das Gebirge auch ein Schauplatz welthistorischer Ereignisse, angefangen von Hannibals Alpenüberquerung bis zur Alpenfront während des 1. Weltkriegs. Hans-Joachim Löwer beleuchtet nun ein bislang weitgehend unbekanntes Geschehen, dessen Auswirkungen gleichwohl bis in die unmittelbare Gegenwart zu spüren sind. Einigermaßen geläufig mag noch sein, dass in der Zeit nach dem 2. Weltkrieg Nazis und Kriegsverbrecher über die sogenannte Rattenlinie Fluchtwege vor allem nach Südamerika fanden. Dass aber auch Juden in der Nachkriegszeit über die Berge geschmuggelt werden mussten, dürfte ziemlich neu sein.   Im besiegten und besetzten Deutschland und Österreich wurden die aus den Konzentrationslagern befreiten und die bislang untergetauchten Juden in Camps für sogenannte displaced persons (DP) interniert. Dazu kamen ehemalige Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter aus ganz Europa, darunter auch Menschen, die vor der Roten Armee geflohen waren. Insgesamt verstopften rund 20 Millionen Migranten die Straßen, unter ihnen viele unbegleitete Kinder. Oft wollten sie nicht in ihre früheren Heimatländer zurückkehren, weil sie dort nicht ganz grundlos Repressalien befürchteten. Wer es schaffte, als Verfolgter anerkannt zu werden, genoss gegenüber der übrigen Bevölkerung gewisse Privilegien, vor allem, was die Verpflegung betraf. Als DP-Camps dienten nicht selten die früheren Konzentrationslager, auch wenn sie jetzt anheimelnde Namen trugen, wie Föhrenwald oder Gnadenwald. Gerne auch fanden sich die DPs in ehemaligen Nazi-Refugien wieder, wie etwa im HJ-Hochlandlager Königsdorf oder in Feldafing am Starnberger See. Allerdings waren die Lager wieder eingezäunt, so dass sich das eigenartige Bild ergab, dass die Besiegten sich frei bewegen durften, die Befreiten aber wieder bewacht wurden. Außerdem vermieden die Siegermächte eine ethnische oder religiöse Kategorisierung, um nicht in den Verdacht zu geraten, die absurde Rassenpolitik der Nazis fortzusetzen. 

Klaus Kaschuba, Hermann Gies: Unterwegs durch Jahrmillionen

Sachbuch

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Ein Sachbuch? Oder doch eher ein Wanderführer mit Mehrwert? Die Autoren sind begeistert von den Dolomiten und der Geologie – und liefern eine Anleitung, wie beides zu erleben ist. Die Dolomiten: Unesco-Weltnaturerbe, Traumland für Kletter- wie Wanderbegeisterte gleichermaßen: Gelbe oder weiße Kalkstöcke wie Märchenschlösser über blumenprächtigen Almwiesen. Urmeer-Riffe, überschoben auf ältere Gesteinsschichten, aus geologischer Perspektive.   Die Autoren verbinden in diesem Buch ihre Begeisterung für die Südtiroler Berge mit ihrer geologischen Leidenschaft und wollen ihre Leserschaft beides nachempfinden lassen: durch eine Auswahl an Wandervorschlägen, die zu geologisch aufschlussreichen Regionen der Dolomiten führen und so neben Bergerlebnis auch Verständnis vermitteln können. 

Katrin und Frank Hecker: Heilsame Wildpflanzen

Sachbuch

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Kein Bestimmungsbuch oder Lexikon der Heilkräuter, sondern eine Fibel für den Hausgebrauch zu einer Auswahl der gängisten Wildpflanzen und was man daraus alles machen kann für die Hausapotheke, Küche und Kosmetik. Eine Hommage an die Vielfalt der Natur und Jahreszeiten. Das Autorenduo Katrin und Frank Hecker aus Schleswig-Holstein, beide Diplom-Biologen, sind mit Leib und Seele der Natur verbunden. Seit über 20 Jahren veröffentlichen sie Natur-Ratgeber – sie als freie Autorin, er als Naturfotograf. Mit ihren Kindern leben sie im Rhythmus der Jahreszeiten und vermitteln nun sehr einfühlsam ihre Praxiserfahrungen. Dabei sensibilisieren sie für einen achtsamen Umgang mit der Natur und schaffen es obendrein durch die gekonnte Bebilderung, ein Gefühl für die jeweilige Pflanze zu entwickeln. 

Thomas Käsbohrer: Der Einsatz meines Lebens

Sachbuch

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Es ist schon das zweite Buch, mit dem der Autor packend die Einsatzwelt der Männer und Frauen bei der Bergwacht miterleben lässt. Und es bringt wieder viel spannenden Lesestoff.

Andreas Jäger: Die Alpen im Fieber

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So klar und verständlich sind die wissenschaftlichen Fakten zum Klimawandel noch selten zusammengetragen und präsentiert worden. Eine erhellende Lektüre für alle, denen mit den Alpen auch der Schutz unserer Lebensgrundlagen am Herzen liegt. Ein Buch mit einer Botschaft – und einer Leidenschaft. Drei Schritte weit will der Autor die Leserschaft führen: Die Spuren der Eiszeit in den Alpen verständlich machen – zeigen, welche Rolle das Klima für unser Überleben in dieser Region spielt – und damit klarmachen, wie wichtig es ist, eine weitere Überhitzung der Atmosphäre zu stoppen.   Zuerst widmet er sich kritischen Anmerkungen gegenüber den Fakten des Klimawandels, die er bei Vorträgen zu hören bekommt: Klimawandel gab’s schon immer; die Wärme schadet uns doch nicht; das bisschen CO2 kann doch nicht so viel bewirken. Auf wissenschaftlicher Grundlage erklärt er dann, warum diese vermeintlich überzeugenden Aussagen nicht stimmen – mit großem Hintergrundwissen, in klarer Sprache und erhellend visualisiert.   Im gleichen Stil führt er dann durch seine drei großen Blöcke. „Das Erbe der Eiszeit im Alpenraum“ schildert den wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn über die Klimageschichte der Alpen. Eine zentrale Rolle spielen dabei die Gletscher, deren einstiges Vorrücken durch Findlinge und Moränen nachvollziehbar ist, die die Alpentäler geschliffen und geformt haben und fruchtbaren Löss im Vorland ablagerten. So entstand „Das Paradies im Alpenraum“: In der Warmphase des „Holozän“ herrschten oft ideale Bedingungen für Leben und Landwirtschaft – unterbrochen von kurzen Kaltzeiten, die an Völkerwanderung, Hungersnöten und der Verschickung der „Schwabenkinder“ einen Anteil hatten. Doch mit der Industrialisierung entwickelte sich das „Holozän“: eine Welt, die durch die Gattung Homo Sapiens geprägt und gezeichnet ist. In „Die Welt in unseren Händen“ skizziert der Autor Zukunftsszenarien eines ungebremsten Klimawandels, die nach Horrorfilm klingen, aber leider auf realistischen Berechnungen beruhen. Er zeigt aber auch in knapper Form Möglichkeiten auf, wie wir die Emission des Haupt-Treibhausgases CO2 beenden und seinen Anteil in der Atmosphäre wieder in Richtung früherer Werte reduzieren könnten. Mit der Hoffnung „Wir können noch etwas tun“, die von der deutschen Klimaforschung geteilt wird, setzt er ein optimistisches Ziel ans Ende seines Buches – aber sagt auch klar, dass wir dafür ernst machen müssen mit der Transformation unserer Gesellschaft und unseres persönlichen Handelns.