Carmen Rohrbach: Mein Blockhaus in Kanada
Reisebericht/Lesebuch
30.10.2020, 13:19 Uhr
Mit fast siebzig Jahren erfüllt sich Carmen Rohrbach ihren großen Traum: einen Winter lang will sie allein in Kanada überstehen. Einfühlsames Reisebild aus wildschöner Umgebung.
Es gibt Träume, die hat fast jeder mal geträumt: eine Wüste oder einen Ozean durchqueren, einen Achttausender besteigen oder natürlich: allein sein in Kanada! Der hohe Norden Nordamerikas ist ein Sehnsuchtsort, wild und fast menschenleer. Die Tiere hier sind nicht alle niedlich und süß, es gibt Wölfe und Grizzlybären – und Romantik ist eben immer noch a bissi romantischer, wenn sie mit ein wenig Risiko gewürzt wird. Das Frontier-Feeling der amerikanischen Siedler ist hier noch lebendig, ohne dass man Ureinwohner behelligen oder verdrängen würde: Hier oben war es eben schon immer sehr einsam.
Carmen Rohrbach wurde 1948 in Bischofswerda in Sachsen geboren, ein Fluchtversuch über die Ostsee endete im Gefängnis. Nach zwei Jahren wurde sie frei gekauft, ihre Freiheitsliebe war damit nicht gestillt. Die promovierte Verhaltensforscherin unternahm Weltreisen, immer allein, machte sich über die Jahrzehnte einen Namen als Reiseautorin. Aber ein ganz großer Traum, der war noch übrig: allein in Kanada einen Winter verbringen. Also sucht sie, als gäbe es nichts Selbstverständlicheres, nach einem geeigneten Blockhaus und bricht auf ins Abenteuer. Dass sie zu diesem Zeitpunkt schon fast siebzig ist: Nebensache. Und das abgenudelte Lied "Seht her, eine FRAU, die wilde Sachen macht " gehörte ohnehin noch nie zu ihrem Repertoire.
Erzählstil mit Klasse
Wie in jeder guten Reisegeschichte geht es nur zum Teil um fremde Orte, fremde Menschen, sondern ganz wesentlich um die innere Reise. Carmen Rohrbach schildert ihren Solotrip mit allen Zweifeln, Ängsten und Erfolgserlebnissen fesselnd und einfühlsam, zugleich mit wohltuender Diskretion und ohne Nabelschau, verfremdet die Namen Beteiligter, zum Teil auch die Ortsnamen, auch wenn es keinen Zusammenhang zu skandalösen oder gefährlichen Themen gibt: einfach aus Rücksicht. Im Bildteil braucht es natürlich Fotos der Protagonistin: Die sind klassisch mit Selbstauslöser aufgenommen, einen Selfiestick hatte sie nicht im Gepäck. Und sie liefert wirklich Bilder und nicht diese unsäglichen Schnappschüsse à la „Seht mal, ich bin hier, wie toll ist das denn?!“ Auch in diesem Punkt können sich etliche junge Kolleginnen und Kollegen bei der großen alten Dame der deutschen Reiseliteratur eine dicke Scheibe abschneiden.
Kurzcheck
Info
Besonders geeignet für … kalte Wintertage, an denen man sich freut, wenn das Holz im Ofen knistert.
Carmen Rohrbach: Mein Blockhaus in Kanada, Malik Verlag 2019, 288 S., 22,- Euro