Philippe Bourseiller: Eis
Reisebericht/Lesebuch
04.09.2019, 10:38 Uhr
Eis – ob in Alpengletschern oder Polargebieten – ist von der Klimakrise bedroht. Ein französischer Fotograf huldigt seiner vielfältigen Schönheit.
Eis ist weiß, so viel ist klar, oder? Im Gegenteil! Jede Doppelseite dieses Buches zeigt andere Farbspiele und Konstellationen: schimmerndes Gold, tausendfältiges Blau, zarte Rosétöne. Quasi farblose Bergkämme in Grau, vom Abendlicht gerötete Triebschneefahnen über nachtblauen Gletscherrillen, von der Mitternachtssonne vergoldete Eisberge, die sich im Polarmeer spiegeln.
Philippe Bourseiller, fünffacher Preisträger des World Press Award, hat auf der ganzen Welt fotografiert. In diesem Band zeigt er die Vielfalt der „Kryosphäre“ – jener Teile der Erde, in denen Wasser in gefrorener Form vorliegt. Die endlosen Packeisflächen der Arktis, Gletscher- und Gipfelwelten der Antarktis, vergletscherte Gebirge von Alaska bis zu den Alpen, In Seen kalbende Hängegletscher Patagoniens, den gefrorenen Baikalsee mit seinen bizarr-filigranen Eisstrukturen, im Eis eingeschlossene Methangasblasen auf kanadischen Seen, kilometergroße Gletscherströme und zentimeterfeine Eiskristalle.
Eis – lebensfeindlich und lebenspendend
Bourseiller porträtiert auch Menschen, die auf gefrorenen Wasserfällen klettern, Gletscher begehen oder die schmelzenden Firnhänge des Ruwenzori hinaufsteigen. Oder den „Gletscheronauten“ Janot Lamberton, der sich 200 Meter tief in Gletschermühlen abseilt und unten den Schmelzwassertunneln folgt. Man sieht Inuit, die mit Hundeschlitten ihre Nahrungsmittel jagen. Ihre Lebensgrundlagen sind durch die Eisschmelze bedroht, und auch zum Beispiel durch Sprengungen, mit denen Erdöllager erkannt werden sollen.
In elf Interviews kommen Menschen zu Wort, deren Leben auf besondere Art mit dem Eis verknüpft ist: Eine Einhand-Seglerin, der Kapitän eines Eisbrechers, eine Kommandeurin der Eisberg-Warnpatrouille, Glaziologen, Umwelt-Aktivisten, Klimatologen. Sie erzählen über das Leben im Eis, den respektvollen Umgang mit dieser Urgewalt, die Veränderungen durch die Klimakrise. Wenn die Polarmeere eisfrei werden, richten sich kommerzielle Interessen auf die Ausbeutung der dort vermuteten Öl- und Gasreserven – doch wenn man diese auch noch fördern und verbrennen würde, wäre die Klimakatastrophe komplett besiegelt. Die Weiten des Eises scheinen so riesig, so mächtig, so unzerstörbar. Und doch sind sie so fragil. Für viele der abgebildeten Gletscher ist das Ende schon absehbar.
Kurzcheck
Info
Besonders geeignet für… Menschen, die das Fühlen noch nicht verlernt haben
Philippe Bourseiller: Eis, Knesebeck Verlag, 2018, 296 S., 45 Euro
ISBN: 978-3-95728-136-4